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Über sechs Monate ist es her, seit ich in Schweden war. Zeit für meinen Bericht zur Vätternrundan 2019.
Im Juni fährt man in Schweden!
Im 35.000 Einwohner zählenden Städtchen Motala treffen sich seit 1966 Radsportler, die am Wochenende vor Midsommar eine Runde um den Vätternsee fahren und damit, zumindest für das Wochenende, Motala zur heimlichen Fahrrad-Hauptstadt Europas machen.
1966 waren nur wenige Sportler am Start. Mittlerweile sind es aber bis zu 20.000, die sich schon im Vorjahr um einen der begehrten Startplätze bewerben. Das macht die Vätternrundan zu einem der größten Radsportveranstaltungen der Welt. Mehr Teilnehmer bei einem einzelnen Rennen, so der Veranstalter, sei aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt.
Gestartet wird in Motala traditionell am Freitagabend um 19:30 Uhr. Danach werden die Sportler alle zwei Minuten gruppenweise auf die 300 km lange Strecke geschickt. Ab 2020 werden es 315 km sein.
Um 3 Uhr morgens ist die schwedische Nacht nach den Veranstalterregeln vorbei. Einigermaßen hell ist es schon vorher. Alle die vor 3 Uhr auf die Strecke gehen, sind mit Beleuchtung und den vom Veranstalter vorgeschriebene Reflektoren unterwegs. Danach darf ohne Beleuchtung auf die gut abgesicherte Strecke gegangen werden. Gut abgesichert heißt nicht, dass die 300 km komplett verkehrsfrei sind. Aber jedes Jahr kommen Teilabschnitte hinzu, die für die Veranstaltung komplett gesperrt werden. Auf motorisierten Verkehr und Verkehrsregeln ist dennoch zu achten. Allerdings ist die Verkehrsdichte rund um den Vätternsee relativ gering und zu nachtschlafenden Zeiten sind es v.a. die Servicefahrzeuge des Veranstalters, die auf der Straße zu sehen sind.
A propos Strecke: Von Motala aus geht es zunächst nach Süden, also im Uhrzeigersinn um den See. Nach etwas mehr als 100 km erreicht man Jönköping, an der Südspitze des Vättern. Dort ist ein großes Verpflegungsdepot in einer Eissporthalle eingerichtet. Neben den üblichen Getränken, die es auch an anderen Verpflegungsstationen gibt, wird sogar warmes Essen gereicht; die berühmten schwedischen Köttbullar beispielsweise, die unsereins aus dem IKEA-Restaurant kennt.
Wer in Jönköping ankommt, hat auf den ersten 100 km schon zwei Depots passiert und noch sechs weitere vor sich. Neben Honigwasser und Energydrinks sollte man sich die warme Blaubeersuppe nicht entgehen lassen. Sehr lecker! Gegen Krämpfe, so sagt man, helfen eingelegte Salzgurken. Die Schweden schwören drauf! Selbstverständlich gibt es auch die in dem ein oder anderen Depot.
Wegen der Depots ist die Vätternrundan vergleichbar mit einer RTF, nur mit längerer Strecke und offizieller Zeitnahme. Wer aber auf Siegerlisten und Platzierungen hofft, ist auf der falschen Veranstaltung. Jeder bekommt im Ziel neben der Medaille eine Urkunde mit seiner persönlichen Endzeit und den einzelnen Durchgangszeiten bei den Zeitnahmekontrollpunkten. Damit hat es sich.
Trotzdem versuchen viele, eine schnelle Zeit zu fahren. Dabei zählt die Bruttozeit, also das was auf der Urkunde steht, inklusive der Verpflegungsstops. Die Fahrer nehmen sich vor, bspw. Sub 12, Sub 11 oder sogar Sub 10 zu fahren. Wer Sub 10 schafft, ist quasi geadelt. Jeder erfahrende Vättern-Pilot wird anerkennend gratulieren, wenn von Sub 10 die Rede ist.
Übrigens hat die Veranstaltung treue Fans. Viele Starter haben mehr als 20 Teilnahmen auf dem Buckel. Auch das gilt als Ritterschlag. Die so genannten Veteranen fahren mit blauen Startnummern, damit man sie erkennt. Es gibt sogar zwei, die seit 1966 jedes Jahr dabei waren und 2019 ihre 54. Medaille abgeholt haben. Die nennen sich Pioniere. Hut ab!
Bei mir stehen zehn Teilnahmen seit 2010 in den Büchern. Nachdem ich 2018 zum neunten Mal unfallfrei und relativ schnell ins Ziel gekommen war, wollte ich 2019 die Goldmedaille abholen, die jeder nach seiner zehnten Teilnahme erhält.
Die zehnte Umrundung
Eine besonders schnelle Zeit war mir bei meiner zehnten Vätternrundan nicht wichtig.
Nachdem ich bei meiner Premiere 2010 in sechs Verpflegungsdepots gehalten und mehr als 14,5 Stunden brutto gebraucht hatte, war ich in den Jahren danach viermal unter zehn Stunden geblieben. Mit meiner Bestzeit von 9:28 h konnte ich zufrieden sein. Sub 9 dachte ich, sei für meine Verhältnisse unerreichbar. Schließlich wird man nicht jünger.
Deshalb war ich im Juni 2019 nicht sonderlich gut trainiert. Zwar kam ich Anfang April auf einem hohen Fitnessniveau aus dem Mallorca-Trainingslager zurück, aber in den zehn Wochen bis zum Wettkampf ging die Arbeit vor und die Fitnesskurve entwickelte sich negativ.
So musste das Material meine Form kompensieren.
Meinem Litespeed T5 Titan-Rennrad, auf dem ich schon viermal um den See gekommen war, bekam zu meinem 54. Geburtstag 485 mm hohe Swiss Side Hadron Classic Carbon-Laufräder spendiert. Man gönnt sich ja sonst nichts, dachte ich mir.
Gleichzeitig stellte mir Swiss Side die Hadron Ultimate 625 für einen Test zur Verfügung. So hohe Felgen wollte ich in Schweden eigentlich nicht fahren, weil um den Vätternsee oft starke Winde herrschen.
Gut 12 Stunden vor meiner Startzeit um 3:18 Uhr in der Früh, entschied ich mich aber doch für die 625 mm Hochprofilfelgen, die auch der zweifache Ironman-Weltmeister Patrick Lange fährt.
Allerdings waren die Laufräder nicht die einzige „Marginal-Gains-Maßnahme“. Meine Sitzposition war von Jens Machacek optimiert worden, der viele Spitzensportler, sogar Weltmeister, betreut. Außerdem hatte mir Jens WINSOLE-Einlagen maßgefertigt, die er 2012 zusammen mit FES für die deutsche Bahnradnationalmannschaft entwickelt hatte. Was für die Olympiade gut ist, kann für CyclingClaude nicht schlecht sein, dachte ich mir, zumal ich in den Jahren zuvor auf Langstrecke immer wieder Fußschmerzen hatte.
Last but not least hatte ich für die Vätternrundan eine neue Kette im Gepäck, die mit Molten Speed Wax präpariert war. Wer CyclingClaude regelmäßig liest, hat sicherlich schon von der „Baranski-Kette“ gehört.
Der Rahmenaufkleber, den es seit drei Jahren nur noch aus Tradition gibt, war allenfalls psychologisch wichtig, genau wie die Straßenmalerei am finalen Anstieg in Medevi Brunn, 25 km vor dem Ziel.
Auch das Wetter spielte mit. Nachdem es in den Tagen vor der Vätternrundan teilweise heftig geregnet hatte, versprach die Wetter-App wenig Wind, Nachttemperaturen von um die 13 Grad und Höchsttemperaturen von um die 24 Grad.
Kleiner Tipp in dem Zusammenhang: Die Wettervorhersage von YR.NO ist mit die beste, die es für die nordischen Ländern gibt. Die Wettervorhersage findet man im Internet oder über die entsprechende App für iOS und Android.
Da ich die 300 km durchfahren wollte, ohne an einem Depot anzuhalten, musste entsprechend Verpflegung mitgeführt werden. So packte ich am Freitagnachmittag die Rückentaschen von Trikot und Radweste, sowie die Oberrohrtasche des Litespeed T5 mit 16 Portionsbeuteln High 5 Energy Aqua Koffein voll. 16, so wusste ich aus Erfahrung der letzten Jahre, bringen mich locker um den See.
High 5 ist übrigens ein Markenhersteller, der u.a. Bora hansgrohe beliefert. Die Produkte schmecken in der Regel gut und sind – für mich – sehr verträglich.
Das Gel „Energy Aqua“ (früher IsoGel) hat aber noch einen weiteren Vorteil. Es ist flüssiger als herkömmliche Gels. Nachtrinken ist deshalb nicht notwendig. Das schont den Getränkevorrat in den Wasserflaschen. So komme ich erfahrungsgemäß mit 1,75 ltr. Getränk (plus 8 x 60 ml Energy Aqua), bis zum inoffiziellen Wasserdepot, das etwa bei km 142 auf einem Parkplatz eingerichtet ist, aber vom Veranstalter nicht öffentlich kommuniziert wird. Dort fülle ich meine Wasserflaschen auf und komme damit bis ins Ziel. Dem Wasser setzte ich übrigens High 5 Energy Source und Sponser Salt Caps zu. Das High-5-Pulver gibt es in der Dose, aber auch in Tütchen, die gut in die Rückentasche passen.
Nach einer großen Portion Nudeln mit Kötbullar legte ich mich gegen 19 Uhr im Wohnwagen schlafen. Auch hier ein Tipp: Es schläft sich besser mit Ohrstöpseln gegen Lärm. Schließlich starten viele Leute am frühen Abend. Entsprechend wuselt es auf dem Campingplatz. Auch eine Schlafmaske verhilft zu besserem Schlaf. In Schweden sind die Nächte nur kurz dunkel.
Gegen 1:30 Uhr in der früh, klingelte mein Wecker. Ausreichend Zeit ist mir wichtig, damit es vor dem Start keine Hektik gibt.
Um 3 Uhr war im am Start, früh genug um noch zweimal die Pipi-Box aufzusuchen. Leicht aufgeregt bin ich nämlich jedesmal.
Im Gegensatz zu anderen war ich nicht zu warm angezogen. Knie- und Armlinge wollte ich am Wasserdepot ausziehen und in die Rückentaschen packen, wo vorher die bereits verbrauchten Gels steckten. Ein guter Plan, wie ich fand.
Die Verpackungen der Riegel und Gels können während der Vätternrundan übrigens prima entsorgt werden; allerdings nicht einfach in der Pampa. Alle 20 bis 30 Kilometer sind so genannte Skräp-Zonen eingerichtet, die vorher per Schild angekündigt werden. Man hat dann genug Zeit, die Verpackungsreste aus der Rückentasche zu angeln und in das etwa 10 Meter lange Fangnetz zu werfen, das am Wegesrand gespannt ist.
Von den ersten Kilometern des Rennens gibt es übrigens wenig zu berichten. Bis zum Wasserdepot, also die ersten 143 km lief es irgendwie von selbst. Aus Sicherheitsgründen fahre ich in Schweden ungern in Großgruppe. Das mag zwar schneller sein, ist aber auch doppelt gefährlich, weil viele das Gruppenfahren nicht kennen und die Müdigkeit ein Übriges tut. Stattdessen suchte ich kleine Gruppen oder fuhr gänzlich alleine. Trotzdem hatte ich bis Jönköping, also auf den ersten 100 km, einen Schnitt von etwas über 36 km/h. Die Swiss Side Hadron Ultimate 625 sind der Wahnsinn. So viel ist sicher.
Am Vormittag war es dann bereits so warm, dass ich jeden Anstieg mit offener Weste fahren musste. Entsprechend fett sehe ich auf den Fotos aus. 😉
Der Wasserstopp hatte übrigens prima geklappt. Nach wenigen Minuten war ich wieder auf dem Rad, obwohl eine Großgruppe vor mir ins Depot gekommen war. Die gingen aber alle zunächst Wasser lassen, bevor die Bidons am Wassercontainer gefüllt wurden. Ich füllte zuerst und ging danach die zwei Schritte in den Wald.
Als ich nach 200 km bei herrlicher Vormittagssonne und wenig Wind durch Karslborg kam, war ich mir sicher, die Vätternrundan zum ersten Mal in unter 9 Stunden brutto beenden zu können. Dass ich auf den letzten 100 km aber immer noch einen 34er Schnitt fahren würde, hätte ich nicht gedacht.
So war es aber. Alleine, oder in Kleingruppe, kämpfte ich mich Richtung Motala. Im Gegensatz zu den letzten Jahren bekam ich selbst auf den letzten 50 km keine Krämpfe und kam nach (für mich) sagenhaften 8 Stunden und 35 Minuten ins Ziel. Die Vätternrundan 2019 war Geschichte! Fun Fact am Rande: Ich konnte sogar alleine vom Rad absteigen. Auch das hatte ich schon anders erlebt.
Im Ziel gab es das obligatorische Norrlands Guild alkoholfrei bevor auf dem Campingplatz mit Kwaremont gefeiert und regeneriert wurde.
Erst am folgenden Tag fand ich einen großen Schnitt auf der Lauffläche meines Vorderrads, der von der Tubeless-Milch (Tune) komplett abgedichtet worden war. Erst nachdem ich die ausgehärtete Milch aus dem Loch gekratzt hatte, realisierte ich, mein Glück. Eins ist sicher: Mit Schlauch hätte ich einen Pannenstopp gebraucht. Sub 9 wären dann nur knapp zu schaffen gewesen.
Auf der Fähre nach Deutschland war mir klar, dass die Vätternrundan 2019 meine letzte Runde gewesen ist. Zehnmal ist genug und schneller werde ich wohl nicht mehr werden.
Jetzt bin ich aber doch wieder angemeldet. Warum? Erstens ist im Flur noch Platz für eine weitere Urkunde. Zweitens werde ich im Juni 55 und fahre dann die 55. Ausgabe der Vätternrundan, die gleichzeitig meine 11. sein wird.
Außerdem, auch wenn das bei Anmeldung noch nicht klar war, ändert sich 2020 die Strecke, um eine viel befahrene Straße auszuklammern. 315 km werden es dann sein. Einmal muss ich die fahren!
Falls auch Du 2020 zur Vätternrundan möchtest, hast Du Gelegenheit. Im Gegensatz zu den Jahren seit ich mitfahre, ist die Vätternrundan diesmal noch nicht ganz ausverkauft. Zum Anmelden brauchst Du ein Nutzerprofil auf der Seite des Anbieters. Gerne kannst Du Dich bei Deiner Anmeldung der Gruppe „CyclingClaude“ anschließen. Der Gruppen-Code ist: 200302-d7mc0t
Wir starten am 13.6.2020 gemeinsam um 3:28 Uhr in der früh und treffen uns sicher die Tage vorher beim Bier auf dem Campingplatz.
Danach fährt jeder sein Tempo. Wie mein Tempo werden wird, kann ich leider noch nicht sagen. Schließlich erlitt ich Ende August 2019 einen Brustwirbelbruch und fahre mit Fixateur Interne im Rücken. Ob der langstreckentauglich ist, werden wir sehen. Dabeisein ist alles!
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Tolle Story. Sehr inspirierend!
Absolut großartig, danke! Aber wann kann man sich denn immer so eintragen lassen? Jetzt war ja gerade die Fahrt und die Anmeldung für das nächste Jahr ist noch geschlossen.
Die Anmeldung sollte so in sechs Wochen offen sein. Zunächst gibt es eine Vorregistrierung und zwei Monate später muss man abends um 19 Uhr schnell online bestätigen.