Letztens war ich mit dem Rad in London unterwegs. Virtuell auf Zwift.
Genial ist die Grafik beim Durchfahren der Stadt. Die Strecke zeigt dem Zwift-Fahrer die Sehenswürdigkeiten, und wie im echten Rennen führt die Zielgerade direkt zum Buckingham Palace.
Auch Box Hill, den berühmten Anstieg des olympischen Straßenrennens von 2012, kann man auf Zwift bezwingen. Allerdings muss man dafür nicht raus aus der Stadt. Pragmatisch wurde Box Hill von den Zwift-Programmierern nach Downtown London verlegt.
Wer RideLondon auf Zwift noch nicht ausprobiert hat, sollte es tun … auch wenn ich persönlich mehr auf die TrainerRoad stehe und die virtuellen Zwift-Welten nicht unbedingt brauche.
RideLondon100
Noch besser ist es aber, RideLondon, das teilnehmerstärkste Radrennen Europas live zu erleben.
2016 war ich, nach 2013 und 2014, zum dritten Mal in London. Allerdings trat ich 2014 aufgrund katastrophaler Wetterverhältnisse gar nicht erst an.
Am 31.7.2016 wollte ich die 100 Meilen (160 km) unter 5 Stunden fahren, auch wenn mein Trainingszustand Ende Juli nicht mehr der allerbeste war.
Gut vorbereitet flog ich zwei Tage vorher mit Rad und Familie nach London (London City Airport), wo wir unweit des Flughafens, und direkt gegenüber des Messezentrums London EXCEL ein Hotel gewählt hatten.
Bikemesse, Wegsuche zum Stadion und Reifen- bzw. Pumpendrama.
Das Abholen der Startunterlagen im EXCEL war schnell erledigt und es blieb genügend Zeit für den Besuch der Bikemesse und etwas Sightseeing. Darüber hatte ich ja schon gebloggt.
Samstag, am Tag vor dem Rennen, wollte ich unbedingt den Weg vom Hotel zum Olympiastadion erkunden, wo es Sonntagfrüh (sehr früh!) los gehen sollte. Ein Schnitt im Hinterrad, den ich bei Rückkehr entdeckte, entwickelte sich zum ausgemachten Drama, das mich und meiner Familie einiges an Nerven kostete. Im Bett war ich erst nach Mitternacht! Auch die Story, konntest Du auf #CyclingClaude schon lesen.
Die Strecke
Prudential RideLondon100 verläuft zu großen Teilen auf der Strecke des olympischen Straßenrennens von 2012. Allerdings mussten die Olympioniken manchen Abschnitt mehrmals fahren. Beispielsweise mussten die Männer 2012 neunmal über den Box Hill und die Damen zweimal. Deshalb ist Box Hill noch heute weltberühmt. Wobei Box Hill bei RideLondon und Olympia gar nicht der schwerste Anstieg ist bzw. war. Leith Hill, den ich bei meiner ersten Fahrt gar nicht auf dem Schirm hatte, ruft zwischendrin schon mal 15% auf. Das kann weh tun.
Gestartet wird in London übrigens immer im Queen Elizabeth Olympia Park, in Sichtweite des ehemaligen Olympiastadions, in dem heute Westham United spielt.
Die Zieleinfahrt – vollkommen genial – ist auf der Mall, also der Allee die direkt zu Buckingham Palace führt. Wow! Das muss man erlebt haben. Aber schon die letzten Kilometer sind sensationell. Entlang der Themse, vorbei an Westminster, den Horse Guards, beim Piccadilly Circus links und dann durch den Admirality Arch …
Aber bis zum Ziel sind es 160 km durch die Hügel von Surrey, die es in sich haben.
Renntag
Morgens um vier(!) klingelte der Wecker. Aufstehen zur Rennvorbereitung. Warum so früh? Erstens bin ich ein Morgenmuffel, zweitens wollte ich genug frühstücken und drittens hasse ich Dixi-Klos bei Rennen, zumindest wenn es nicht beim Wasserlassen bleibt.
Der Start der Massenveranstaltung ist perfekt organisiert, wie auch der Rest des Rennens. Um 25.000 Fahrer abfertigen zu können, bedarf es eines ausgeklügelten Systems. Es gibt mehrere Startbereiche, die nach und nach gelehrt werden. Jeder Beriech ist darüber hinaus unterteilt in ‚Startwellen‘, die so genannten ‚Waves‘.
Mein Start war für 7 Uhr vorgesehen. Aber ich musste spätestens um 6:32 Uhr in der Waive sein.
- Wave Load opening time: 05:57
- Wave Load closing time: 06:32
- Start Time: 07:00
Etwa sieben Kilometer hatte ich vom Hotel bis zum Olympiapark zurück zu legen. Es war noch kühl und dunkel, als ich aufbrach. Beleuchtung und Windstopper-Jacke, sowie die Schuhe für nach dem Rennen (schließlich will man nach dem Rennen eine Zeit im Hyde Park bleiben) kamen, in einen beschrifteten Beutel verpackt, auf den Truck, der die Farbe meines Startbereichs und die Nummer meiner Wave hatte. Nach dem Rennen, standen die 20 oder 30 Trucks direkt hinter Buckingham Palace, sodass ich relativ zügig nach dem Zieleinlauf an seine Klamotten kam.
Zunächst stand ich aber gegen 6 Uhr in meiner Wave und fror mir einen ab. Schließlich war ich warm gefahren.
Quälend langsam verging die Zeit und der kilometerlange Wurm aus tausenden von Radfahrern kroch langsam Richtung Startlinie. Gottseidank gab es zwischendurch immer wieder Dixis um den Kaffee weg zu bringen.
Irgendwann hatten wir es dann geschafft, durchfuhren das rote Tor und nahmen Geschwindigkeit auf.
Auf großen Straßen und langen Tunneln ging es Richtung Innenstadt. Wer mich kennt weiß, dass ich eine Tunnelphobie habe, nicht nur beim Autofahren. So waren die vier zu durchfahrenden Tunnel, einer mehrere Kilometer lang, eine Herausforderung, über die andere lachen würden. So fuhr ich anfangs gemäßigt.
Tempo machen und rennmäßig fahren, ist sowieso nicht einfach, wenn man gefühlt auf der ‚falschen‘ Straßenseite fährt. Überholt wird rechts, nicht links, dazu viele unerfahrene Fahrer im Feld, die noch nie eine ‚Sportive‘ gefahren sind …
So richtig ans Hinterrad ging ich deshalb nicht. Insgeheim hoffte ich dennoch auf gute Beine, um auch ohne wesentlichen Windschatten Sub-5 fahren zu können.
Zunächst einmal genoss ich die Fahrt durch die Stadt: Tower of London, Riesenrad, Piccadilly Circus, Pall Mall, The Ritz, Harrods … aber dann Kette rechts und ungewohnt rechts überholen.
Die Geschwindigkeit war dann hoch, auch ohne Windschatten. Auf den ersten 50 oder 60 km fuhr ich einen 35er Schnitt. Aber in den Hügeln von Surrey verlor ich mehr und mehr vom Schnitt, obwohl ich Leith Hill und Box Hill prima hoch kam.
Schlimmer waren die Abfahrten. Unerfahrene, unsichere Fahrer fuhren nicht links sondern mehr in der Mitte. Überholen musste man dann auf der rechten Spur, wobei Kamikaze-Fahrer mit dem Ruf ‚On your right‘ (an Deiner Rechten) in der Abfahrt am rechten Straßenrand an mir vorbei donnerten, obwohl kaum Platz war. Bei 60 km/h fand ich das nicht mehr lustig.
So fuhr ich mit wenig Risiko in den Abfahrten, was sich als klug erwies. Am Fuße einer der Abfahrten kamen uns Zuschauer entgegen gelaufen, wild winkend, um das Feld abzubremsen. Grund war ein verheerender Unfall am Ende der Abfahrt, wahrscheinlich verursacht durch das Aufeinandertreffen rücksichtsloser Raser und unerfahrener Teilnehmer.
Etwa acht bis zehn Leute lagen auf der Straße, überall verbogene Räder, teils rechts und links im Graben. Helfer versuchten mit Windjacken die Blicke abzuschirmen. Es muss schlimm ausgesehen haben. Einer der Verletzten, den ich liegen sah, hatte eine heftige Kopfwunde. Das Gesicht war blutverschmiert.
Schlecht war, dass die Unfallstelle in einem schwer zugänglichen Streckenabschnitt lag. So erfuhr ich später, dass das gesamte Feld, das nach uns kam, gestoppt wurde. Erst nach einer Stunde ging es weiter – aber auf verkürzter Strecke. Schließlich mussten die Straßen für das Profi-Rennen frei gemacht werden.
In der Presse war später übrigens zu lesen, dass zwei der Verletzten mit Hubschraubern ins Krankenhaus gebracht wurden. Man sprach von schweren Kopfverletzungen.
Auch wenn ich nach dem Unfall verhalten fuhr, waren die 5 Stunden immer noch drin.
Dann kam es aber zweimal unglücklich zum Stau auf der Strecke. Für mehrere Minuten ging gar nichts mehr.
Grund war die Zusammenführung des 100-Meilen-Rennens mit dem 46-Meilen-Rennen, das 2016 Premiere hatte. Knapp 30.000 Fahrer auf der Straße war dann wohl doch zu viel.
Die 5 Stunden Fahrtzeit konnte ich mir abschminken. Aber es hatte im Kopf Klick gemacht. Ich konnte es nicht akzeptieren und fuhr auf Teufel komm raus die letzten 30 km. Besonders hart war der teils heftige Anstieg in Wimbledon, bevor es wieder nach London in die Stadt ging. Zum Glück war die Stimmung am Streckenrand enorm. Man wurde angefeuert, wie ich das in Deutschland noch bei keinem Rennen erlebt habe.
Auf den letzten Kilometern Tunnelblick! Ich kämpfte mich von Hinterrad zu Hinterrad. Linkskurve am Piccadilly Circus, durch den Torbogen von Admirality Arch … die letzten 500 Meter bis zum Ziel. Einige Fahrer feierten sich schon, ließen austrudeln oder fuhren Arm in Arm die letzten Meter.
Ich gab Vollgas. Alles was die Oberschenkel hergaben, kam auf’s Portal. Ganz rechts an der Bande, volle Kanone, auch wenn die Sub-5 dahin waren.
Direkt hinter dem Zielbogen, neben mir die Bande, kam ich zum Stehen – wenn man das so nennen darf. Bäm, Bäm! Krämpfe in beiden Oberschenkeln, oben. So schlimm wie noch nie! Statt vom Rad zu steigen, kippte ich, immer noch eingeklickt, wie ein Sack in die Bande. Sekunden später waren zwei Sanitäter da, die mir aber nur bedingt helfen konnten. Meine Fresse, waren das Schmerzen. Weil meine Kamera immer noch lief, konnte ich später nachvollziehen: drei Minuten schmerzverzehrt in der Bande gehangen, danach drei Minuten bis die Sanitäter mein Rad unter mir ‚raus operiert‘ hatten und weitere zwei Minuten, bis die Krämpfe nachließen. Nach acht (!) Minuten konnte ich also, aufs Fahrrad gestützt, unter Schmerzen laufen.
Übrigens war ich 5 Stunden und 5 Minuten unterwegs. Ohne Stau und zäh fließenden Verkehr wäre Sub-5 machbar gewesen.
Unten findest Du zwei Videos vom Rennen. Das erste, recht kurz, zeigt einen Fahrer, der auf einem Brompton Faltrad die 100 Meilen gefahren ist; verdammt schnell sogar. Das zweite zeigt einige Impressionen der Strecke.
Du willst auch?
Falls Du bei London100 mitfahren möchtest, musst Du bei der Verlosung mitmachen. Die Anmeldung zur Verlosung der Startplätze ist bis zum 7.1.2017 offen, oder bis 80.000 Anmeldungen erreicht sind.
Ausländer haben in der Regel eine gute Chance teilzunehmen. Für sie (uns) gibt es einen speziellen Link zur Verlosung für ‚Overseas Entries‚. Die Startgebühr beträgt 85 GBP.
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