CyclingClaude freut sich immer über Feedback … besonders wenn es positiv ist.
Achim bedankte sich letztens für meinen Enthusiasmus zur Vätternrundan und dem Tipp zur 1-Stopp-Strategie mit Hydrogels, dem er seine schnelle Fahrzeit zu verdanken habe.
Was Achim über die 2018er Vätternrundan schreibt, ist mehr als spannend, v.a. für diejenigen, die 2019 zum ersten Mal dabei sein werden.
Ein Gastbeitrag von Achim
Vätternrundan 2018
Vorgeschichte
Hatte die liebe Ehefrau nur spaßeshalber gefragt, ob ich an der Vätternrundan teilnehmen könne. Die Antwort war spontan, nur wenn sie mitkomme. Und so war die Idee vom Stockholm-Wochenende mit Abstecher nach Motala geboren.
Bei der gewünschten Startzeit hatte ich ein Fenster mit größerer Wahrscheinlichkeit ausgewählt und dann am Tag der Freischaltung auch schnell den Zuschlag für 23:36 Uhr erhalten.
Das Rennen startet abends um 19:30 Uhr und alle 2 Minuten geleitet ein Motorradfahrer eine Gruppe von 70 Leuten auf die Strecke. Die letzten gehen dann gegen 6:30 Uhr auf die Reise.
Erst bei der Vorbereitung lerne ich, dass es trotz der Nähe zu Mittsommer doch für gute 3-4h dunkel wird. Die ambitionierteren Fahrer starten daher erst so spät wie möglich am Morgen. Viele ändern auch im Nachgang ihre Startzeit, was wohl meist klappt. Das war aber keine Option für mich, weil ich dann doch das Erlebnis der Nachtfahrt mitnehmen wollte.
Anreise
Von Stockholm starten wir gegen 16:30 mit dem Mietwagen nach Tjällmo, ca. 30 Minuten entfernt von Motala, das im großen Umkreis an dem WE ausgebucht ist. Der Gasthof ist wirklich urig mit einer ganz lieben Chefin und beherbergt völlig überraschen nur Radfahrer, die wiederum alle von ihren Frauen gefahren werden während sie um jede Minute Schlaf kämpfen. In meinem Fall übrigens vergeblich.

Ich bin seit 7.00 Uhr wach, habe die Nacht aber gut geschlafen. Trotzdem fühle ich mich unfit – todmüde und minimalst erkältet vom zugigen Stockholm.
Statt des geplanten Powernappings im Gasthof gibt es ein Abendessen – bikergerecht Nudeln. Dann geht es schon los und gegen 22:00 parken wir citynah in Motala, was viel unkomplizierter geht als erwartet und so kann die liebe Ehefrau mich bis zum Start noch begleiten.
Die Startnummernausgabe erfolgt elektronisch unterstützt recht zackig, die Identität wird übrigens nicht verifiziert. Bis zum Start bleibt eine gute Stunde. Ein Kaffee soll die Müdigkeit bekämpfen und zudem hilft er erwartungsgemäß noch das Fahrergewicht etwas zu reduzieren.
Beim Start gibt es null Stress, im Prinzip reicht es wenige Minuten vorher im Startbereich zu sein. Beim Rad wird eigentlich nur die Beleuchtung kontrolliert, die bis Startzeit 3:00 Pflicht ist. Auf die mühsam angeklebten Leuchtbänder als Reflektoren wird nicht geachtet, erst recht nicht auf die vorgeschriebene Klingel, die sich die Susie vom Crosser geborgt hat. Fehlt nur noch das Schutzblech und die Susie wäre als Trekkingrad durchgegangen, aber Regen konnte aufgrund der Wetterprognose zu 100% ausgeschlossen werden. Dann ist es soweit – die 23:36er Gruppe wird aufgerufen.


Das Rennen
Wie beim Safety Car der Formel 1 fährt ein Motorrad vor unserer Gruppe und biegt nach 500 Metern ab und wir können frei fahren. Ich bin zunächst hinter einer Gruppe von Kampfamazonen bis irgendwann ein Zug mit hohem Tempo an uns vorbeifährt. Diesem schließe ich mich an. Entgegen der Befürchtung war es nicht schon das erste Überholmanöver aus einer nachfolgenden Startgruppe sondern andere 23:36er.
Ich will mich selbstverständlich an der Führungsarbeit beteiligen, was lediglich dazu führt, dass mich ein Schwede gefühlte 20 Sekunden lang anschreit. Ich tue so als hätte ich ihn nicht verstanden. Ok, habe ich ja auch nicht. Beim nächsten Versuch vorne im Wind scheint kein Interesse daran zu bestehen, an mir dran zu bleiben. Also mache ich langsamer und lasse sie wieder vorbei. Erst jetzt erkenne ich, dass es eine zusammengehörige Truppe von gut 15 Leuten ist, die sich im belgischen Kreisel vorwärts bewegt. Davon hatte ich schon mal gelesen und auch, dass eine Teilnahme höchst unerwünscht ist, das Hinterherfahren aber geduldet wird.
So geht es dann zügig weiter. Zügig fühlt es sich auch an, so richtig warm ist es nicht, ca. 14 Grad beim Start und das Tempo von 30-40 km/h macht auch nicht wärmer. Die Wahl der Beinlinge bereue ich nicht. Es ist schon richtig dunkel, wenn auch nicht pechschwarz. Die Lampen der Radler leuchten die Straßen aber gut aus und die Lichterkette der vielen Rückstrahler in der Ferne zeigt immer schön die Streckenführung an. Trotzdem braucht es sehr viel Konzentration bei den Lichtverhältnissen und von Müdigkeit ist nichts mehr zu spüren.
Die Straßenqualität ist zum Glück über die ganze Strecke nahezu perfekt, ich kann mich an kein einziges Schlagloch erinnern. Ein Vorteil der Dunkelheit ist auch, dass ich nichts auf dem Display des Garmin sehen kann und so nicht unnötig abgelenkt werde.
Beim zweiten Depot nach 84 km in Ölmstad dann die Überraschung – mein Schwedenexpress fährt raus. Der sah doch so aus als sei er auf eine gute Zeit aus und da passt doch kein früher Stopp. Drei Deutsche, die auch direkt dahinter waren, fahren weiter und vier stramme Norweger sind auch dabei. Aber das ist nicht mehr vergleichbar mit vorher. Es reicht sogar für eine 30-sekündige Pinkelpause ohne die Gruppe zu verlieren.
Das passiert aber beim nächsten Depot nach 103 km in Jönköping, wo die anderen alle rausfahren. Einer der Deutschen hatte mir noch erklärt, wie schlecht die Schweden gekreiselt seien und wie gefährlich das eigentlich war. Hmm, zeigt doch, dass ich vom richtigen Radfahren keine Ahnung habe.
Die Depots tauchen alle ca. 1 km später auf als es mein Zettel am Oberrohr vorsieht. Den hatte ich angebracht, da ich irgendwo gelesen hatte, dass jemand einfach anderen nachgefahren und so unbeabsichtigt im Depot gelandet war. Aber so groß ist die Gefahr dann doch nicht und so abgelegen von der Strecke sind die Depots auch nicht.
Inzwischen ist es aber schon merklich heller geworden und mein Garmin zeigt einen Schnitt von 35,6 km/h an. Die schnelle Hochrechnung zeigt, dass Sub 9 brutto ja gar nicht unmöglich erscheint. Also strample ich fleißig an den Mitfahrern vorbei auf der Suche nach einer neuen Gruppe, die man realistisch am ehesten bei einem Depot findet.
Nach Fagerhult bei km 134 ist dies schon mal nicht der Fall. Die Strecke ist inzwischen auch wesentlich welliger als vorher, aber steile Auf- und Abfahrten gibt es keine. Ein paar km nach Fagerhult fange ich an, nach dem Wasserdepot Ausschau zu halten, wo ich den einzigen Stopp einlegen will.
Dieses – inoffizielle – Depot mit lediglich zwei fetten Wassertanks sollte etwa bei km 144 kommen. Aber spätestens bei km 150 kommt mir der Verdacht, dass ich – wie eigentlich im Vorfeld schon befürchtet – zu blöd war um es zu sehen. Aber ich habe noch ausreichend Wasser bis zum nächsten Depot in Hjo bei km 172.
Die Füße brauchen die kurze Pause aber mehr als der Rest des Körpers. Bis jetzt haben sie prima durchgehalten und immer wenn es kritisch wurde, halfen Zehenwackeln und Boas lockern.

In Hjo kann ich auch endlich das Handy raus kramen und die ersten Bilder machen. Trost für den doch wesentlich größeren Zeitverlust (lange Wege) im Vergleich zum reinen Wasserdepot sind ein Becher Kaffee und das schönste Foto, das ich von unterwegs mache – der anbrechende Morgen im Hafen von Hjo.

Im Zelt gucke ich mir kurz das Essensangebot an. Es gibt sogar Salatteller, aber die berühmte Blaubeersuppe sehe ich nicht. Aber wer die großen Wassertanks nicht sieht hat sicher auch Probleme mit einem kleinen Topf.
Jetzt merke ich auch weshalb zu viele Stopps nicht sinnvoll sind. Mir wird saukalt und ich muss mich schneller bewegen. Schnell zum Rad mit vollen Wasserflaschen und weiter.
Gefühlt habe ich die Hälfte des Aufenthaltes damit verbraucht in meiner mir eigenen ungelenken Art Riegel & Gels von der Satteltasche in Rückentasche & Oberrohrtasche zu verstauen. Es dauert ein paar Minuten bis ich wieder warm bin. Auch hier gibt es keine neuen Gruppen und der Soloritt wird fortgesetzt was auch für das nächste Depot Karlsborg bei km 205 gilt.
Aber bei km 210 ist es dann soweit. Immerhin 20 km lang fahre ich in wechselnder Besetzung mit 1-4 anderen, aber dann gibt auch der letzte auf und ich bin wieder alleine auf mich gestellt.
Ich achte ja immer auf Guilty76- oder Eintracht-Fahrer. Und tatsächlich überhole ich jemanden im Guilty-Dress. Ich bremse gleich ab und frage, ob er aus der Frankfurter Ecke kommt. Keine Antwort. Ich weite die Frage aus – wo er denn herkomme. Keine Antwort. Ich werde langsam ungehalten. Ob er mich verstehe frage ich im klarsten Deutsch. Kurz bevor ich den Burschen anschreien muss, dann eine schüchterne Antwort auf Schwedisch. Aha, geht doch. Ich erkläre ihm nun auf Englisch, dass nur besonders coole Typen das Guilty-Zeugs rumfahren, vorzugsweise Bartträger. Seine Anspannung lockert sich, er hat nämlich einen Bart. Cool genug zum Mitfahren ist er aber nicht und es geht alleine weiter.
Direkt nach dem Depot Hammarsundet bei km 258 hat sich ein recht übler Unfall abgespielt. Drei Räder liegen rum, zwei Radler sitzen bedröppelt am Brückengeländer und Sanitäter kümmern sich um einen anderen, der ordentlich blutet. Die Stelle selbst birgt keine Gefahr, muss wohl ein Fahrfehler gewesen sein. Im Nachgang erfahre ich aus der Facebook-Gruppe von CyclingClaude, dass ein Gruppenmitglied bei einer Straßenverengung in einem Ort bei Tempo 45 einen Unfall hatte.
Dann sehe ich endlich Licht am Horizont bzw. eine Gruppe, die recht zügig unterwegs ist. Jetzt sind die 24 Stunden ohne Schlaf auch gerade voll. Ich setze ein paar Körner ein um aufzuschließen. Zu meiner Überraschung ist es der nun auf zehn Leute geschrumpfte Schwedenexpress, der mich beim Stopp in Hjo heimlich überholt haben muss. Scheinbar wurde der frühe Stopp nur eingelegt um die schwächeren Fahrer auszusortieren. Gekreiselt wird auch nur noch in der vorderen Hälfte.

Die spätere Datenanalyse zeigt, dass ich hier nur noch 173 Watt benötige um gemütlich hinterher zu radeln. Auf den ersten 85 km waren es noch 192 Watt NP und beim Part dazwischen ohne die Schweden 258 Watt. Aber jetzt wo ich ja weiß, wie schlecht die das eigentlich machen und bei nur noch verbleibenden 30 km bin ich nicht mehr so anspruchsvoll. Meine quasi minütig aktualisierte Hochrechnung zeigt mich stabil bei Sub 9 brutto.
Die Wetterprognose von www.yr.no erweist sich dann leider als nicht unfehlbar. Es fängt an zu tropfen und es wird noch ein leichter Regen daraus. Als wären die letzten 30 Minuten nicht schon anstrengend genug, muss jetzt auch noch die Konzentration weiter hochgefahren werden. In Motala gibt es noch einige Kurven zu bewältigen und so lasse ich den Plan fallen, die letzten ein, zwei km noch mal Gas zu geben und rolle mit meinen schwedischen Helfern ins Ziel.
Beim zweiten Bogen, den wir durchfahren, reißen einige die Hände in die Höhe. Muss wohl das Ziel sein und ich stoppe den Garmin. Das kommt aber erst ein Stückchen später und der Bogen ist auch ordnungsgemäß mit Finish beschriftet. Naja, da die 300 km ohnehin nicht vollgemacht werden ist es auch egal.
Pünktlich hat auch der Regen aufgehört und die Sonne wärmt im Ziel. Hier wird mir die hart erkämpfte Medaille umgehängt. Meine erste Vätternrundan ist geschafft!!! Dass noch Luft nach oben ist, sehe ich im Ziel. Vor mir steht L. Pettersson mit der Startnummer 58 aus der ersten Startgruppe, dessen Medaille eine 45 ziert. Ich gratuliere ihm zu dieser sensationellen Leistung. Er erklärt mir, dass er nur acht verpasst habe. Was ????? Er müsse auch in der ersten Gruppe starten, da er ja länger brauche. Schwedisches Understatement – er war so zackig unterwegs, dass er bis zum Cut-off um 24:00 Uhr noch gute 16 Stunden Zeit gehabt hätte.

Meine Garmin-Daten im Ziel
297 km, netto 8:25:33, brutto 8:39:05, Schnitt 35,3 km/h.
Offiziell gehe ich mit 8:38 in die Vätternhistorie ein:
Depot Time Result
Start 23:36
Ödeshög 00:54 01:18
Jönköping avfärd 02:35 02:58
Hjo ankomst 04:29 04:53
Hjo avfärd 04:43 05:07
Aspa 06:39 07:03
Medevi 07:38 08:01
Finish 08:15 08:38
Da ich deutlich früher als erwartet im Ziel angekommen bin, reicht die Zeit gerade so um mich von der lieben Ehefrau abholen zu lassen und um 9:50 Uhr am Frühstückstisch in Tjällmo zu sitzen.

Wäre ja schade, war schließlich bezahlt ebenso wie das zweite Bett. Die Nacht im Gasthof war wohl nicht so geruhsam, da ständig andere Radfahrer sich auf den Weg nach Motala gemacht hatten!
Fazit
Sehr schöne Veranstaltung, aber zum Serientäter werde ich wohl (noch) nicht werden. Der logistische Aufwand ist für mich zu groß. Die große Begeisterung an der Strecke war nicht ganz so da wie erwartet. Aber so enthusiastisch ist der Schwede dann doch nicht um sich nachts um 3:00 Uhr vor die Haustür zu stellen um irgendwelche Fremden anzufeuern. Sub 8 brutto scheint eine spezielle Herausforderung zu sein, die mit der Erfahrung von diesem Jahr darstellbar wäre. Aber dazu müsste man schon im Vorfeld die richtige Startzeit und Mitfahrer haben. Das Wetter und Material sollten wie dieses Jahr dann auch noch passen. So viel Druck wird der schönen, entspannten Veranstaltung nicht gerecht. Alternativ dann vielleicht doch lieber die Genussfahrt mit Stopp an jedem Depot.

Organisation
Perfekt, bei 20.000 Teilnehmern reicht es im Prinzip, wenn man wenige Minuten vorm Start in dem kleinen Ort rausgelassen wird. Man konnte trotz laufender Veranstaltung leicht mit dem Auto ins Stadtzentrum kommen. Parken ist aber dann natürlich nicht mehr so leicht.
Strecke
Perfekte Straßen, nicht voll abgesperrt, aber gut durch Streckenposten abgesichert, vom Höhenprofil für jeden machbar, meist zweispurig wobei die Radler die rechte komplett nutzen und die linke für die wirklich wenigen Autos frei lassen.
Kleidung
T-Cento/Unterhemd/Swiss/Blitzfeder/Beinlinge auf kompletter Strecke, G1, als ungenutztes Backup Gore-Mütze & Regenjacke Idro, also zu warm war das nicht …
Rad
Susie/Shamal/P1 mit Oberrohrtasche & großer Satteltasche – keinerlei Probleme.
Verpflegung
7x Hydrogel Powerbar, 2l Malto, 2l Wasser, 1 Kaffee, 4 Riegel Nuttrixxion, 1 Ensure vor Start, in Summe ca. 550 gr Kohlenhydrate auf 8,5h = 65 KH/h
Datenanalyse: Teil 1 und Teil 3 mit Schwedenexpress, Teil 2 ohne
Teil 1 /Teil 2/Teil 3/Gesamt
Zeit 02:22:39 /05:06:30 /00:56:23 / 8:25:32
km 85/180/32/297
km/h 35,7/35,2/34,4/35,3
NP 192 /258 /173/237
Höhe 470/1142/223/1835
(Warum ist bei Strava die Summer der einzelen hm > als bei der Gesamttour ?)
Stockholm
Die größte Überraschung der Tour – superschöne, angenehme, lebensfrohe, freundliche Stadt, prima Unterkunft im Hellstens Glashus direkt neben einer Metrostation & zudem auch noch sehr bikerfreundlich !
Hey. Gut geschrieben. Danke.