Vätternrundan 2013

IMG_4229
2013 war eine anstrengende, aber schöne Runde. Schön, weil wie super Wetter hatten aber anstrengend ob meiner schlechten Fitness  aufgrund eines Rippenanbruchs im Winter und des kalten Frühlings 2013.
Wie jedes Jahr ging es mit der Stena-Linie von Hamburg nach Göteborg, mit Übernachtung an Bord. Hin und zurück, inklusive Auto mit Dachbeladung und Zweibettkabine für EUR 399 ist wirklich nicht teuer.
Ich nehme gerne diese Fähre, denn die Überfahrt lässt einen langsam aus dem Arbeitsalltag ins ‚Vätternrundan-Feeling‘ gleiten.
Begleitet wurde ich dieses Jahr von Luisa, meiner Lebensgefährtin, die zwar keine Radsportlerin ist, aber unbedingt erleben wollte, was ihr Freund bescheuertes tut, wenn er in Schweden ist.
Wir fuhren bereits am Samstagmorgen, 8. Juni, los. Das ist eigentlich viel zu früh für die Vätternrundan, die für den 14. bzw. 15. Juni terminiert war bzw. zu spät für den Halbvättern (150 km), der traditionell am Sonntag vor der Rundan startet und den ich 2012 ebenfalls gefahren war.
Dennoch sollte es der 8. Juni sein, weil ich unbedingt – und wie im letzten Jahr – meinen Geburtstag an Bord der Schwedenfähre verbringen wollte.
Eingeschifft genossen wir an Deck bei herrlicher Sonne und einem (Luisa) bzw. zwei (ich) gezapften Bier die Ausfahrt aus Kiel. Selbst eine Blaskapelle gab es. Studenten aus Göteborg, auf ihrem Rückweg von einer Konzertreise, gaben spontan an Deck ein Konzert, während wir ausliefen.
 
Danach ging es zu ‚all you can eat and drink‘ ins Buffet-Restaurant des Schiffes, wo wir uns für EUR 35 pro Person, dreimal durch das Vor-, Haupt- und Nachspeisenangebot aßen.
Im Gegensatz zum letzten Jahr hielt ich mich aber an Bier, weil mir damals der Rotwein (oder die Menge) nicht so gut bekommen war.
Durch das Essen hatte sich mein Kampfgewicht um gefühlte drei Kilo erhöht, was ich dieses Jahr aber nicht so eng sah, weil ich sowieso durch die krankheitsbedingten Trainingspausen zu schwer war … vom Trainingsrückstand ganz zu schweigen.
Nach der Nacht an Bord kamen wir Sonntagmorgen gut ausgeruht – und immer noch satt – in Göteborg an. Nun lagen nur noch 250 km zwischen uns und Motala, der Fahrradhauptstadt Europas, wenn nicht der Welt.

Nach knapp 50 km kam es aber zum traditionellen Halt an der ersten Autobahnraststätte, zwecks Inhalierens eines großen, heißen Kaffees und zwei großen ‚Kannebulle‘, den schwedischen Zimtschnecken, denen ich suchtmäßig verfallen bin.
Übrigens hatten wir für die Fahrt, schon seit Deutschland, bestes Wetter, welches sich auch in Schweden fortsetzte. Regen war nicht zu erwarten und so machte ich mir keine Sorgen, das Zelt im Nassen aufbauen zu müssen.
Insgeheim bedauerte ich es, bei dem Wetter nicht doch den Halbvättern gefahren zu sein, besonders als uns auf dem Weg nach Motala die Fahrradgruppen entgegen kamen.
Als Zeltplatz wählten wir wieder den Z-Parken am Varamon; dem Campingplatz des örtlichen Fußballclubs ‚BK Zeros‘. Der Platz stellt zur Rundan zusätzliche Kapazitäten auf dem Gelände zur Verfügung. Selbst direkt neben und an den Trainingsplätzen darf campiert werden.
Wie im letzten Jahr bauten wir unser Zelt hinter der Torauslinie des zweiten Platzes auf, nicht weit von den Duschen und Toiletten und so gut wie rund um die Uhr in der Sonne.
Sonne ist nämlich wichtig, weil es bei durchwachsenem Wetter keinen Spaß macht, das Zelt im Schatten stehen zu haben.
Aber dieses Jahr konnten wir uns über das Wetter überhaupt nicht beklagen. Es regnete lediglich Mittwoch auf Donnerstagnacht, am Donnerstagvormittag und wieder Samstag auf Sonntagnacht. Ansonsten war es immer trocken und meist auch sonnig. Nur Wind hatten wir – besonders am Freitag und Samstag – in Windstärken bis zu 10 m/s.
Nachdem das Zelt stand, unternahmen wir einen kleinen Ausflug mit den Rädern in die Stadt. Knapp 5 km sind es vom Z-Parken bis zum Ziel.
Erschrocken war ich darüber, dass der erste Kilometer Richtung Stadt komplett Baustelle war, durch die normalerweise die letzten Kilometer der Rundan gehen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass da 20000 Radfahrer durch sollten.
Verursacht war die Baustelle durch die neue Autobahnbrücke, die vor Motala ein Stück des Sees kreuzt und direkt hinter Motala, am Varamon, wieder auf Land trifft.
Welchen Stellenwert die Vätternrundan in Schweden hat, zeigte sich dann aber dadurch, dass die Baustelle inklusive zwei neuer Kreisel bis Freitag, also zum Start der Rundan, komplett fertig geteert war. In Deutschland würde es so eine Abstimmung sicher nicht geben. Stattdessen hätte man dem Veranstalter mitgeteilt, dass er eine andere Route zu wählen habe. Aber Schweden tickt halt anders und alles tickt rund um die Vätternrundan.
Montags machte ich eine erste Ausfahrt, weil ich mich nach dem Trainingsausfall wieder an den Sattel gewöhnen wollte. Nicht lange sollte es gehen; maximal zwei Stunden waren geplant.
Blöderweise waren die Randbereiche der Campingplatzzufahrt neu geschottert, aber nicht richtig verdichtet. So legte ich mich beim Kreuzen auf die Nuss. Mit blutigen und schmutzigen Abschürfungen am rechten Knie und rechten Ellenbogen, notdürftig mit Wasser aus der Trinkflasche gesäubert, setzte ich meine gerade erst begonnene Fahrt fort.
Der Seitenwind drückte heftig in die 50-mm-Hochprofilfelgen und das Fahrgefühl war miserabel, wohl auch weil Lenker bzw. Vorbau nach dem Sturz nicht mehr gerade waren.
So wurden aus geplanten 2 Stunden Ausfahrt mickrige 25 km; für mich ein enttäuschender Beginn der Vätternwoche.

Dienstag war es dann aber besser. Ich hatte rückenwindbedingt eine schnelle Fahrt nach Borensberg, am Gotakanal. Der Wind pustete mich regelrecht vorwärts. Blöderweise musste ich auf gleichem Weg zurück, was dann weniger spaßig war. Fuhr ich hinzus teilweise 40 oder 45 km/h, waren es auf dem Rückweg manchmal weniger als 20, besonders wenn es berghoch ging.
Ich war ziemlich platt, als ich nach etwas mehr als 50 km wieder in Motala war.
Weil für Donnerstag Regen angesagt war, beschlossen Luisa und ich die Sonne am Mittwoch zu nutzen, um mit den Crossern von Borensberg aus, am Gotakanal entlang, nach Berg zu fahren. Berg ist bekannt für seine sieben Schleusen, über die Schiffe in den Gotakanal gelangen.
Von Borensberg bis Berg sind es knapp 22 km, über einen leicht geschotterten Rad- und Wanderweg, direkt am Kanal entlang.
Ich genoss die langsame Fahrt, die für Luisa aber schon herausfordernd war, weil sie sonst eigentlich kaum Rad fährt.

In Berg angekommen, schauten wir dem Schleusenschauspiel zu, wobei ein Ausflugsdampfer langsam bergab gebracht wurde.
Danach ging es zu einem angrenzenden Restaurant zum Mittagessen.
Die Rückfahrt gestaltete sich dann so, dass ich mit dem Crosser zurück nach Borensberg düste um Luisa, die schließlich genug geleistet hatte, mit dem Auto abzuholen.
Dabei schaffte ich die 22 km Rückweg mit einem 24er Schnitt, obwohl der Wind wieder frontal von vorne kam.
Abends genossen wir den Sonnenuntergang am Varamon, dem größten Binnenstrand Nordeuropas. Herrlich, wie langsam die Sonne im Sommer hinter dem Horizont verschwindet und es dann doch nicht gleich ganz dunkel wird.
 
Mittwochnacht und Donnerstagmorgen kam dann der angedroht heftige Regen, der aber am frühen Nachmittag schon vorüber war.
Noch bei Regen fuhren wir mit dem Auto in die Stadt, um die Startunterlagen abzuholen.
Auf dem Marktplatz war noch wenig los und ich war sicher einer der Ersten, der seine Startunterlagen bekam. Dabei kauften wir dann gleich etliche Vätternrundan-T-Shirts und staubten einige Shimano-Radmützen und Peugeot-Trinkflaschen ab.
Da wir direkt gegenüber dem Systembolaget (der staatlich kontrollierten Alkoholverkaufsstelle) parkten, machten wir einen Abstecher. Neben zwei Flaschen Motala-Bier fand ich Dosenbier der Marke Fagerhult, die ich ebenfalls mitnahm. Fagerhult ist nämlich ein Depot fast auf der Hälfte der Vätternrundan. Abends genoss ich das Bier mit dem Gedanken ‚ach wenn ich doch schon in Fagerhult wäre‘. Aber ich war ja noch nicht in Fagerhult und wandte stattdessen jeden nur erdenklichen psychologischen Trick an um mich gedanklich fit für die Tour zu machen.

Ich redete mir bspw. ein, dass gescheites Carboloading mich sicherlich bestens um den See bringen würde ;-). 500 Gramm Spaghetti am Donnerstagabend, gefolgt von drei verdauungsfördernden Schnäpsen, ließen mich gut ins Bett, bzw. auf die Schlafmatte plumpsen. Dennoch vertrieben sie die Gedanken nicht, die mir einredeten, dass ich doch viel zu schlecht trainiert sei.
Donnerstag war übrigens auch der Tag, an dem es auf dem Z-Parken richtig voll wurde. Nicht nur Schweden, v.a. auch viele Deutsche kamen, um am Freitagabend den See zu umrunden. Neben uns campierten wieder einige Radsportler aus Rügen, die ich zum Teil schon aus dem vergangen Jahr kannte. Selbst die Seitenauslinien der Fußballplätze waren nicht mehr tabu.

Interessant fand ich den Schweden, der Donnerstagabend mit dem Rad ankam. Sein Gepäck zog er auf einem Anhänger. 220 km war er am Donnerstag gefahren. Freitag/Samstag wollte er dann die 300 km um den See angehen und Sonntag wieder nachhause fahren. Ich nehme mal an, er hat es geschafft. Ich würde mir das nicht zutrauen.
Freitagmorgen versuchte ich, länger zu schlafen, was aber nur bedingt gelang. Da ich mein Rad (wie ich dachte) schon Donnerstag komplett fertig gemacht hatte, war nur wenig zu tun.

So verbrachte ich meine Zeit damit, die Vögel direkt an der Torauslinie zu füttern, in dem ich immer wieder zwei ganze Toastschreiben aufs Spielfeld warf und zusah, wie zunächst die Raben kamen, um sich um das Brot zu zanken, bis sie von den Möwen vertrieben wurden, die es schafften, ganze Brotscheiben auf einmal im Schnabel davon zu tragen bzw. davon zu fliegen.
Zwischendurch verprasste ich das Downloadvolumen meines Telekom-Wochenpasses, indem ich immer wieder die Wettervorhersage für einige Städte rund um den See abrief. Immer wieder klickte ich mich von Motala nach Gränna, von dort nach Jönköping, nach Hjo und dann nach Medevi.
Die Nachricht war immer gleich: Regen würde es keinen geben; stattdessen Sonne satt und Wind, Wind und Wind.
Wie ich das iPhone auch drehte, der Windpfeil sah so aus, als wenn es bis Jönköping fetten Wind von der Seeseite bzw. nachher von vorne geben würde.
Auf der Westseite des Sees hätten wir Seitenwind, leicht von hinten (besser) und ab der Nordspitze wieder direkt von vorne.

Ich hoffte innständig, dass meine Wetterapp von YR.NO die Windvorhersage noch ändern würde, weil Starkwind von der Seite bei Hochprofilfelgen sehr anstrengend ist. Aber es kam dann so, wie vorhergesagt.
Neben dem Wind fand ich die Temperaturunterschiede bedenklich. Nachts sollte es bis auf 8 Grad runter gehen, tagsüber aber bis 19 Grad warm werden. Und wer die Schwedensonne kennt, weiß, dass sie bei 19 Grad schon ziemlich knallt.
So überdachte ich noch einmal meine Kleiderplanung. Ich wollte nicht zu dünn angezogen los fahren, aber auch nicht unbedingt in einem Depot den Kleiderabgabeservice nutzen.
So beschloss ich, ein altes Wintertrikot von Aldi drunter zu ziehen, was ich bei Bedarf auf der Strecke entsorgen könnte.
Gegen drei unterzog ich mein Rad eines letzten Checks. Die Lauffläche des Vorderrades, eines fast neuen Conti 4000S, zeigte einige kleine Einstichstellen. Ich ließ etwas Luft ab und stellte mit Entsetzen fest, dass sich überall kleinste, scharfe Steinchen eingearbeitet hatten. Ich fummelte und drückte alle vorsichtig raus. Dennoch hatte ich ein ungutes Gefühl, nachdem ich im letzten Jahr gleich zwei Reifenpannen während der Rundan erleben bzw. erleiden durfte. So entschied ich mich, flugs zum Zelt auf dem Marktplatz zu fahren, in dem es alles gibt, was des Radfahrers Herz höher schlagen lässt; natürlich auch Conti 4000S.
Mit einem Satz neuer Reifen für mich (und einem Satz für unsere Zeltplatznachbarin aus Rügen) sprintete ich mit dem Crosser wieder zurück zum Campingplatz.
Dort zog ich das ‚Schwarze Gold‘ gleich auf. ‚Schwarzes Gold‘ deshalb, weil ich für den Satz etwa 94 EUR und somit 40 EUR mehr als in Deutschland gezahlt hatte. Aber sei’s drum – Hauptsache nicht wieder so ein Reifendesaster wie in 2012.
Nach getaner Arbeit versuchte ich abends im Zelt noch etwas zu schlafen, was mir eigentlich nicht gelang. Mehr als Dösen war nicht drin, trotz Lufthansa-Augenklappe und Ohrstöpseln. Ich war einfach zu aufgeregt. So tigerte ich in kompletter Radmontour schon gegen Mitternacht ums Zelt, obwohl meine Startzeit 1:50h war.
Natürlich nutzte ich die Zeit, mich ernährungstechnisch gut vorzubereiten. V.a. Flüssigkeit fügte ich genügend zu und auch die obligatorische Imodium durfte nicht fehlen. Denn schon Wigald Boning wusste, dass man bei einer Ausdauerleistung immer die richtige Balance zwischen Magnesium und Imodium finden muss.
Gegen 1:15h fuhr ich dann los. Es war fast dunkel und als ich am Start ankam war es endgültig Nacht.

Bevor ich mich zum Start einreihte, hatte ich noch genügend Zeit ein paar Videoaufnahmen zu machen und so oft wie möglich zum Wasserlassen aufs schwedische Dixi zu gehen. Schließlich wollte ich ja nicht schon in Gränna wieder vom Rad, sondern so weit durchfahren, wie ich konnte.
Diesmal hatte ich lediglich zwei Liter Flüssigkeit dabei, plus etwa 10 High5-Gels, die schon so viel Flüssigkeit enthalten, damit man nicht nachtrinken muss.
Theoretisch würde ich damit bis zum Wasserdepot bei km 143 kommen, ohne anhalten zu müssen. 2012 hatte das geklappt. 2013 traute ich es mir aber nicht zu.

Das erste Depot, Hästelholmen (km 44), wollte ich auf jeden Fall liegen lassen, Gränna (km 81) auch.
Im Idealfall wollte ich auch nicht in Jönköping (km 107) raus. Da gibt es zwar warmes Essen und Massagen, aber es ist in einer Halle und man verliert relativ viel Zeit bis man drinnen und wieder raus ist.
Insgeheim hoffte ich, irgendwie bis Fagerhult (man erinnere sich an das Bier) zu kommen, wo die Wasserstelle dann nur noch 5 km entfernt ist und ich dann bis dahin durchfahren könnte.
Wo ich danach anhalten würde, plante ich nicht, im Gegensatz zu 2012, wo ich keinen weiteren Stopp, außer den Bio-Stopps, geplant hatte.
Aber zunächst war ich ja erst an der Startlinie in Motala und es war müßig sich über den Verlauf Gedanken zu machen.
Als es dann endlich biep-biep-biepte und meine Gruppe über die Startlinie rollte, hatten wir heftigsten Wind; Rückenwind.
Mir war unwohl dabei, denn ich wußte, dass wir am Stadtrand von Motala nach rechts abbiegen mussten und der Wind dann rechts von der Seite bzw. von vorne kommen würde. So war es dann auch.

Zunächst musste ich die ganz schnellen und ambitionierten Fahrer ziehen lassen, fand aber bald eine geeignete Gruppe, die in Zweierreihe fuhr. Blöderweise war ich rechts und somit voll im Seitenwind. Einige Male versuchte ich links rein zu kommen, aber keiner der Fahrer war so blöd, mich rein zu lassen. So ließ ich mich nach hinten durch reichen, um mich hinten an die linke Seite der Gruppe dran zu hängen. Das Gelang auch prima. Nur leider war die rechte Gruppe ein Rad kürzer, weshalb ich immer noch voll im Seitenwind war.
Das war eine ziemliche Quälerei und ich war froh, dass es schon nach einer Stunde wieder akzeptabel hell war. Dennoch war es gefährlich, wenn die Windböen in die Gruppe fuhren. Einmal touchierte einer der Fahrer das Hinterrad des Vordermanns und ein Massensturz konnte gerade so vermieden werden.
Irgendwann waren wir dann endlich am ersten Depot, das ich links liegen ließ. Das Gros der Gruppe fuhr aber rein. Eine Zeit waren wir nur noch zu Dritt; zwei Stockholmer und ich. Alle drei mit Hochprofilfelgen, gegen den Starkwind ankämpfend. Nach und nach wurde die Gruppe wieder größer und ich freute mich, dieses Jahr etwas mehr von der schönen Strecke zu sehen, die ich die ersten drei Jahre immer im Dunkeln gefahren war.
Leider hatte ich nach ungefähr 60 km schon Sitzprobleme. Irgendwie fühlte sich der Übergang vom Oberschenkel zum Hinterteil auf der rechten Seite so an, als wenn die Blutzufuhr gestört wäre. Ich vermutete, dass das Hosenbein meiner guten Assos-Hose etwas verdreht sei, bekam die Hose aber nicht besser ausgerichtet. Anhalten wollte ich aber nicht. So ging ich bei jeder kleinen Steigung aus dem Sattel um den Druck von der Stelle zu nehmen. Ich dachte mir, dass ich so unmöglich weitere 250 km fahren könne, weil ich ja sonst fast jeden Berg sitzend hoch drücke, aber absteigen wollte ich erst, wenn es gar nicht mehr ginge.
Durch Gränna ging es auf dem bekannten Kopfsteinpflaster und kurz danach kam endlich das zweite Depot. Nicht, dass ich da raus wollte, aber die Depots sind immer eine gute Motivationshilfe. Man kann sich geistig von Depot zu Depot hangeln.
Leider verlor ich dort meine zwei neuen Freunde aus Stockholm, die anhielten.
Meinem rechten Hinterteil sagte ich, dass ich weiterfahren würde. Bis Jönköping waren es ja nur noch 26 km. Wäre doch gelacht, wenn ich die nicht ‚auf einer Arschbacke‘ absitzen würde.
Teilweise musste ich stark gegen den Wind kämpfen, denn ich sprang von langsamer Gruppe zu langsamer Gruppe. Dabei war ich selbst nicht schnell. Bei km 100 hatte ich gerade mal einen 25,2er Schnitt. Das war wahnsinnig langsam obwohl ich wie ein Stier gekämpft hatte.
Nach 100 km versuchte ich mich selbst zu filmen. Vor Erschöpfung brachte ich kaum einen vernünftigen Satz raus und auf dem Video sehe ich elendig aus. Dennoch genoss ich die lange Abfahrt nach Huskvarna genau wie den zornigen Anstieg, den es vorher zu überwinden galt. Schließlich war Jönköping nicht mehr weit.
Als ich dort das Depot erreichte war mir klar, dass ich auch hier nicht anhalten wollte bzw. musste. Nach 107 km war erst eine Wasserflasche leer und Gels hatte ich noch ausreichend. Dafür hatte ich nicht mehr all zu viele Riegel, die ich, klein geschnitten, in der Oberrohrtasche transportierte.
In Jönköping änderte sich dann auch der Wind, da es ja nun von Süden nach Norden ging. Wir hatten zwar keinen Rückenwind, aber einen Seitenwind, der manchmal etwas von hinten kam. Außerdem war er nicht mehr ganz so heftig und böig.
Ich drückte etwas aufs Tempo um vorne nach schnelleren Leuten zu schauen, statt auf schnellere Gruppen zu warten. Mittlerweile stand die Sonne am Himmel und mir war reichlich warm unter der Mütze.
Nach 122 km, gerade wieder alleine im Wind, beschloss ich spontan rechts ran zu fahren, um mich etwas lockerer zu kleiden. Eine Gruppe konnte ich ja nicht verlieren. Rechts raus wich die warme Mütze einer Bandana und die Knielinge wanderten in die Rückentasche. Pinkeln musste ich noch nicht. Wieder auf dem Rad war es zunächst herrlich – nicht mehr so warm in der Kleidung. Kurz darauf zogen aber Wolken auf und von der wärmenden Kraft der Sonne war nichts mehr zu spüren. 6 Uhr 58 zeigte der Garmin, bei neun Grad Außentemperatur. Oh je, dachte ich, was für ein Anfängerfehler. Hätte ich vor dem Stopp auf die Uhr geschaut, wäre ich nicht raus gefahren. So musste ich frierend weiter. Aber die Sonne kam dann irgendwann wieder; noch bevor ich links am Depot Fagerhult vorbei fuhr.

Wow, Fagerhult war vorbei und ich immer noch im Sattel. Eigentlich ohne Stopp, wenn man den blöden Kleidungsstopp mal außer Acht ließ.
Kurz darauf kam dann schon das Wasserdepot. Dort gibt es nichts, außer einem LKW-Anhänger, der Wassertanks geladen hat, von denen man sich über Schläuche bedienen kann.
Als ich ankam, war gerade eine größere Gruppe eines Radsportklubs am Nachtanken; manche sogar, ohne vom Rad abzusteigen. Ruck zuck waren sie wieder weg. Ich ließ mir mehr Zeit. Neben dem Wasserholen war auch das Wasserlassen hinter dem LKW-Auflieger angesagt. Außerdem wechselte ich Akku und Speicherkarte der Videokamera. Schließlich entledigte ich mich noch des alten Aldi-Wintertrikots, obwohl es noch etwas kalt war. Aber zur Not hätte ich noch meine Gore-Regenjacke drüber ziehen können.
Nächstes Teilziel ‚Hjo‘: Hjo liegt bei km 172 und man kann schön am See rasten, oder aber in der Halle, wo es warmes Essen wie Lasagne etc. gibt. Aber Rasten wollte ich auch in Hjo möglichst nicht.
Mittlerweile waren viele schnelle Gruppen unterwegs, meist von lokalen Radsportteams, die im Schnitt etwa mit 33 bis 36 km/h unterwegs waren. An die langsameren Verbände versuchte ich mich ran zu hängen, was einigermaßen ging – manchmal aber nur für eine kurze Zeit. Dennoch lief es ganz gut und so kam ich einigermaßen schnell nach Hjo – und darüber hinaus.
Aber es war ein Ritt auf der Rasierklinge. Ich wusste, dass ich eigentlich nicht die Kondition hatte, in dem Tempo zu fahren und wahrscheinlich Tribut zollen musste.
Dennoch fuhr ich so weiter. Mal langsamer, aber oft in den schnellen Gruppen. Knapp vor km 200 musste ich dann raus, zwecks Biopause. Dabei entledigte ich mich noch meiner Überschuhe, weil es mittlerweile ziemlich warm war, und wechselte Speicherkarte und Batterie der Kamera.
Bei km 200 fühlte ich mich noch richtig gut was ich auch per Video dokumentierte. Auf dem Filmmaterial sehe ich wesentlich frischer aus, als 100 km vorher. Schmerzen hatte ich zwar immer noch, aber ich war gut im Wegdenken. Neben den Sitzproblemen, die mich schon seit km 60 begleiteten, machte mir v.a. die linke Hand zu schaffen, deren Innenfläche ziemlich taub war. Selbst Handgymnastik half nicht mehr all zu viel. Das rechte Knie zwackte. Dennoch war ich gut drauf.
Am Depot Karlsborg vorbei, ging es direkt am Seeufer entlang; für mich mit der schönste Streckenabschnitt bei der Rundan. Jetzt waren es nur noch 93 km und drei weitere Depots bis ins Ziel. Richtung Depot ‚Boviken‘ merkte ich aber, dass meine Batterie ziemlich leer war – mit anderen Worten, ich war platt. Schuld daran waren die zweiten 100 km, die ich zu schnell gefahren war.
Meine Gedanken kreisten nun um meine weiteren Optionen. Ich lag ‚gefühlt‘ ganz gut in der Zeit und wollte keinesfalls mehr anhalten. Also ließ ich auch Boviken (km 230) liegen. Aber schon 10 km später war mir ziemlich klar, dass ich in Hammarsundet, bei km 260, raus musste. Ich war so platt und meine Hoffnung lagen in einer Tüte High5 Xtreme, die ich noch in der Satteltasche hatte. Eine Getränkeflasche von dem Gesöff soll ja Wunder wirken – und selbst wenn es nur im Kopf hilft, hatte ich diese Hilfe bitter nötig.
Je näher ich aber Richtung Hammarsundet kam, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich noch knapp meine 2012er Zeit von 11.11h schaffen könnte – falls ich nicht mehr absteigen würde. Aber ich war ja eigentlich zu kaputt, und pinkeln musste ich erfahrungsgemäß auch noch einmal.
Meine Gedanken kämpften miteinander.
Option 1: Im Hammarsundet halten, austreten, neue Kraft schöpfen, den herrlichen Blick über den Hammarsund genießen, genüsslich die letzten 40 km angehen und locker unter einer Gesamtzeit von 12h bleiben.
Option 2: Nicht mehr anhalten, nicht mehr pinkeln, nicht mit Luisa telefonieren um meine Ankunftszeit durchzugeben, mit dem restlichen Getränk auskommen müssen, eine Menge Schmerzen haben, mich total leer fahren …
Depot Hammarsundet im Blick war mir klar, dass es Option 2 werden würde. Ich wollte es probieren und mit ca. 11:15 ins Ziel kommen, oder sogar – best case – mit meiner Vorjahreszeit von 11:11h.
Nach dem Depot ‚Hammarsundet‘ geht es geschätzte 13 km auf einer viel befahrenen Landstraße weiter; immer hoch und runter. Richtige Züge gab es keine mehr. Nur noch versprengte Gruppen und Einzelfahrer waren anzutreffen, die alle ziemlich mit sich selbst und der Strecke kämpften.
So kämpfte auch ich – und es tat ziemlich weh – auch weil der Wind wieder frontal von vorne kam, was sich bis ins Ziel nicht mehr großartig ändern sollte.
Erst als es von der Hauptverkehrsstraße nach rechts Richtung Medevi abging, schnaufte ich etwas durch und entspannte.
Ich hatte sogar wieder eine kleine Gruppe von drei bis vier Mann vor mir, an deren Hinterrädern ich lutschte; allerdings nicht allzu lange.
Vor und in Medevi hat es noch ein paar kleinere aber zornige Anstiege. Die Sonne war warm, halb Medevi saß an der Strecke – und ich hatte plötzlich wieder Kraft in den Beinen. So jodelte ich euphorisiert, meist im Wiegetritt, an meiner Gruppe und an vielen weiteren Fahrern vorbei.
Am Ortsausgang von Medevi, kurz nach Ende der letzten Steigung, liegt das Depot ‚Medevi‘. Hinter mir alle Leute, die mir noch Windschatten hätten geben können, die ich aber am Berg stehen gelassen hatte. Vor mir: Nichts, Zero, Nada. Das Depot war voll von Leuten, aber keiner kam raus, als ich vorbei fuhr.
Nun musste ich zunächst alleine weiter kämpfen – mit abermals leeren Beinen, Schmerzen und dem Gedanken, dass Option 1 bei Hammarsundet sicher die bessere Wahl gewesen wäre.
Was für eine Qual.
Schließlich sah ich irgendwann rechts am Horizont den Strand ‚Varamon‘ auftauchen, da wo unser Campingplatz lag. Ca. 10 km hatte ich noch zu fahren und gerade überholten mich wieder die Jungs, die ich in Medevi am Berg hatte stehen lassen.
Wie blöd von mir. Wäre ich hinter denen geblieben, hätte ich eine Menge Kraft sparen können. Nun hatte ich aber wieder ein Hinterrad und etwa 11:15h war immer noch möglich.
Kurz darauf überholte uns eine ziemlich schnelle Großgruppe eines Radsportteams. Ich fuhr links raus und hängte mich mit letzter Kraft dran. Auf der neuen Straße, die erst einen Tag zuvor geteert worden war, ging es Richtung Motala – mit ca. 40 km/h.
Etwa auf Höhe unseres Campingplatzes nahm die Gruppe kurz Fahrt raus. Im mittleren Bereich der vierspurigen Straße (die aber für den Verkehr gesperrt war), lag ein verunglückter Fahrer, der ziemlich schlimm aussah. Eine Gruppe Sanitäter war schon vor Ort und einige Teamkollegen standen drum herum.
Als ich meinen Blick wieder nach vorne nahm, hatte ich den Windschatten der schnellen Gruppe verloren.
Die letzten vier Kilometer war ich nun komplett auf mich alleine gestellt. Der Wind pustete mir voll ins Gesicht und ich mobilisierte die letzten Körner. Drei, vier langsame Radler überholte ich noch, bevor es die letzte 90-Grad-Linkskurve zum Seeufer zu nehmen galt.
200 Meter bis zum Ziel, leider in Alleinfahrt. Aber ich gab noch mal richtig Gas, wie bei einem richtigen Zielsprint.
Ich war glücklich, auch wenn es mir noch nie so viele Schmerzen bereitet hatte, vom Rad zu steigen. Zunächst lief ich wie auf Eiern. Aber sobald ich Luisa sah, ging es mir besser. Sie machte gleich ein paar Fotos, noch bevor ich die Medaille um den Hals bekam.
Nun ging es, so gut die Füße funktionierten, direkt auf den Marktplatz, wo man die Urkunde mit seiner Fahrtzeit bekommt.
11:13:16 zeigte mein Garmin als Gesamtfahrzeit an. Allerdings hatte ich das Gerät schon laufen, als ich in den Startblock fuhr. 11:12h hielt ich deshalb für realistisch.
Als ich dann aber die Urkunde in den Händen hielt, war die Freude riesengroß. 11:10h stand da schwarz auf weiß. Eine Minute schneller als 2012.
Was war ich froh, dass ich bei Hammarsundet Option 2 gewählt hatte.
Nach zwei, drei ‚Siegerfotos‘ ging es dann alsbald zurück zum Campingplatz, wobei wir zwischendrin noch beim Systembolaget anhielten, um ein Six-Pack ‚Fagerhult‘ einzukaufen. Schließlich gab es ja was zu feiern.
Am Campingplatz angekommen, war ich dann schon ziemlich am Ende. Wider Erwarten gab es in der Dusche aber noch warmes Wasser und so kehrten nach und nach meine Kräfte zurück; besonders nach den drei Grillsteaks mit Kartoffeln, die Luisa für mich zubereitete, während ich die neuen Erlebnisse mit den Zeltplatznachbarn teilte.
Abends ging es dann noch fast bis Mitternacht, mit Whisky, Weizen und Fagerhult, bevor ich endlich wieder die Augen zu machte.
Sonntagmorgen krochen wir aus dem Zelt, nachdem es seit Mitternacht durchgeregnet hatte. Aber die Sonne war schon wieder da und trocknete die Zeltausrüstung so weit, das wir problemlos einpacken konnten.
Am späten Nachmittag waren wir dann wieder auf der Fähre, genossen ‚All-You-Can-Eat-And-Drink‘ und das richtige Bett in der Kabine.
http://www.youtube.com/watch?v=O8kzU8ZG2M4′

Die mobile Version verlassen