15.000 km mit dem Rad durch Afrika

Anderswo. Allein in Afrika

Ein Interview von Gastautor Andi mit Anselm Nathanael Pahnke, dessen Filmprojekt derzeit in ausgewählten Kinos läuft. Demnächst vielleicht auch bei Dir im Kino! CyclingClaude wird sich den Film wohl im Orfeos in Frankfurt anschauen.

Anderswo. Allein in Afrika

An einem Septembermorgen klickte ich in Facebook auf Nachrichtenanfragen und sah eine Message mit Absender Anselm Nathanael. Der extrem freundliche Typ mit dem außergewöhnlichem Namen kommt aus Hamburg und fragte, ob er in unserer Mountainbiking-Gruppe sein Crowdfunding Projekt vorstellen darf. Wir haben in der Gruppe schon einige Startups unterstützt, aber Anselm und seine Story ist wirklich etwas Besonderes. Das Crowdfunding Ziel hat er mit links geschafft und sein Film ist seit ende November in den Kinos zu sehen. Die Premiere lief im traditionsreichen Abaton in Hamburg, wo wir vor einigen Jahren selbst schon mal eine Veranstaltung gemacht haben. Letztens habe ich den heute 29jährigen in Bremerhaven getroffen und das gefragt, was mich selbst am meisten interessiert:

Wie zum Teufel schafft man es ohne Unterstützung mit dem Rad quer durch Afrika zu fahren?

Anselm: Ich glaube das wichtigste war, dass ich mir keine fixe Route und kein großes Ziel gesetzt habe. Das hätte mich wahnsinnig unter Druck gesetzt und viele Zweifel hervorgerufen, wie ich das denn schaffen soll. Ich habe in kleinen Schritten gedacht und mich immer auf die nächste Etappe konzentriert. So fuhr ich von Schlafplatz zu Schlafplatz, von Ort zu Ort und stand dann, über ein Jahr und 15.000 Kilometer später, im Norden und blicke auf eine intensive und aufregende Reise zurück.

Zeitsprung. Du und zwei Freunde hattet die Idee in Südafrika ein wenig radzufahren. Ich kenne jemand, der ist ein Jahr lang ohne Geld durch Deutschland geradelt. Das fand ich schon strange. Warum habt ihr euch das andere Ende der Welt ausgesucht?

Anselm: Ich war immer schon gerne draußen in der Natur und hatte schon ein paar kürzere Radreisen durch Europa gemacht. Afrika hatte eine besondere Faszination für mich, weil auch unsere Wurzeln dort liegen und wir dennoch so wenig davon wissen. Ich stelle mir Afrika so intensiv, kraftvoll und lebendig vor – und ganz weit weg von dem, was ich gewohnt war.

Ausschlaggebend war dann, dass zwei Bekannte von mir nach Afrika reisen wollten, das gab mir den letzten Impuls. Ich wollte es anfangs mit allen Mitteln vermeiden, allein reisen zu müssen. Also ergriff ich die Chance und buchte spontan einen Flug nach Südafrika. Wie tief diese Reise in den Kontinent und mich selbst hineingehen würde, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht klar.

Nach drei Monaten mussten deine Kumpels zurück und du standst allein in der Wüste. Wie verrückt ist man, wenn man sagt: Och, ich bleib noch ein bisschen?

Anselm: Als ich hörte dass die beiden wegfahren würde, war ich völlig geschockt. Ich weiß noch genau, wie ich Stunden komplett orientierungslos herumgelaufen bin. Enttäuscht und mit wirren Szenarien im Kopf. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, allein dort zu stehen mit einer Entscheidung: entweder auch nach Hause oder allein durch die Kalahari, es kam einfach total überraschend. Ich brauchte ein paar Tage bis ich mich entscheiden konnte und selbst dann habe ich mir nur vorgenommen noch weitere fünf Wochen bis nach Namibia zu reisen und mir immer offen gelassen, dort die Heimkehr anzutreten.

Was sich nach grenzenloser Freiheit angehört, war im ersten Moment ganz anderes. Ich musste mich mit mir selbst auseinandersetzen, die ganze Zeit und ich wurde dabei ganz klein und offenbar sehr unwichtig. Und genau diesem Gefühl zu vertrauen, dass ich mir selbst genüge, das war die größte Herausforderung. Das auf einem mir fremden Kontinent zu erleben, hat die Erfahrung noch intensiver gemacht.

Ich habe mir dein Fahrrad angeschaut. Das ist ja nun alles andere als ein highend Tourenbike und sicher warst du auch nicht auf 14.000 km vorbereitet …?

Anselm: Man braucht für eine solche Reise kein highend Fahrrad – Hauptsache, es ist stabil, man fühlt sich darauf wohl und weiß, wie man einen Platten flickt. Vorbereitet ist man auf eine solche Tour ohnehin nie. Auch nicht mit einem teuren Rad. Aber das muss man auch nicht sein, weil man so viel auch unterwegs lernt und sich aneignet. Außerdem findet man bei den Menschen vor Ort immer Hilfe.

Du bist durch den Sudan gereist. Sam Childers beschreibt in seinem Buch, wie du, die unglaubliche Landschaft, die Lebensfreude der Menschen, aber auch einen unglaublich gefährlichen Teil der Welt. Hattest du abseits deiner Kamera auch Situationen, wo du um dein Leben gefürchtet hast? Und ich meine jetzt nicht die Lastwagen, die dich von der Straße gedrängt haben.

Anselm: An der Grenze zum Kongo fuhr ich entlang einer Straße durch einen Nationalpark. Ich habe die Straße verlassen und bin durch den Busch gestreift, auf der Suche nach Elefanten oder Giraffen, für mich die faszinierendsten Tiere. Plötzlich war ich umzingelt von drei laufenden Büschen. Perfekt getarnte Soldaten aus dem Kongo. Ich bin an einem von ihnen zwei Meter vorbeigelaufen, ohne ihn zu bemerken. Als sie mich aus meinem Erkundungsmode weckten, erschrak ich total, damit war einfach überhaupt nicht zu rechnen. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, was für eine immense Wirkung eine Kalaschnikow hat, wenn sie auf mich gerichtet wird. Plötzlich läuft das Kräfteverhältnis völlig aus dem Ruder. Wenn einem so eine Übermacht gegenübersteht, reagiert man vollkommen vorsichtig, eingeschüchtert und instinktiv. Ich bin nur mit viel Glück und Redekunst aus der Situation herausgekommen.

Fast am Ende meiner Reise wurde ich dann in Ägypten vom Militär verhaftet. Da wieder raus zu kommen war schon etwas schwieriger. Aber letztendlich überwiegen auf jeden Fall die positiven und bereichernden Erfahrungen. Die schlechten Ausnahmen waren eigentlich immer dann, wenn ich mich nicht an gewisse Regeln gehalten habe.

Wie hast du dort navigiert? Hast du dir tägliche Ziele gesetzt oder bis du einfach so weit gefahren, wie du Lust hattest (oder so weit wie es ging)?

Anselm: Manchmal musste ich mir klare Ziele setzen: wenn ich Wasserstellen oder Dörfer mit Märkten erreichen musste oder wenn ein Visum befristet war. Aber meistens bin ich einfach in den Tag hineingefahren und habe nach Gefühl entschieden wie lange und wie weit ich fahren möchte und wo ein schöner Ort zum Zeltaufstellen ist.

Stichwort Verpflegung: Ich war noch nie da, aber auf Google-Maps werden entlang deiner Route streckenweise keine Supermärkte angezeigt. Wie und von was hast du dich ernährt? Wie hast du Pannen am Fahrrad gemeistert?

Anselm: Überall wo Menschen sind, gibt es alles was man braucht: Wasser, Lebensmittel und auch Werkzeuge um Pannen zu reparieren. Nach ein paar Wochen habe ich mich von dem ernährt, was die Menschen vor Ort essen und habe für die längeren Etappen genug Proviant mitgetragen. Teilweise hatte ich 30 Kilo zusätzliches Essen und Trinken am Rad.

Wir hier leben in einer Welt in der oft unsere Sorge ist, ob wir die X Euro eine Dura Ace drauflegen oder Ultegra reicht, und ob wir in der Radhose von Assos besser aussehen, als in der von Gonso. Wie fühlt es sich an, wenn du hier die vollen Regal im Supermarkt siehst?

Anselm: Auch heute noch bin ich oft überfordert von den riesigen, bunten Regalen im Supermarkt und davon, dass es für eine Sache unzählige verschiedene Marken und Angebote gibt. Manchmal ist es gut, wenn man nur das Notwendigste hat, denn dann merkt man, wie viel das eigentlich ist.

Ich habe viele Teile Afrikas als unglaublich ehrlich, unvoreingenommen und interessiert erlebt. Reaktionen, Handlungen und Verhalten liegen viel näher an dem, was einen Menschen vom Inneren heraus steuert. Pur und kaum aufgesetzt. Ich habe auf der Reise mit jeder neuen Erfahrung ein tieferes Vertrauen entwickelt und konnte mich dem Kontinent mehr und mehr öffnen. Ich war anfangs skeptisch, das färbte ab und kam zurück. Offenheit reflektiert sich in der Körpersprache, besonders wenn man sich nur über Lächeln und Handzeichen verständigen kann.

Am meisten hat mich in Afrika fasziniert, wie wenig die Zeit eine Rolle spielt. Die Zukunft findet in fast keiner Unterhaltung, ja nicht mal im Denken, einen gewichtigen Platz. Damit entsteht eine totale Aufmerksamkeit für die Gegenwart, da sich kaum Sorgen um das Morgen in den Köpfen abspielen. Das kam mir anfangs sehr fremd vor, aber ich habe immer mehr verstanden, wie natürlich diese Art zu leben eigentlich ist.

Afrika war nicht deine erste Reise. Hättest du Afrika auch ohne deine vorherige Erfahrung geschafft?

Anselm: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube es wäre vielleicht zu viel gewesen: Afrika als erste Radtour und dann auch noch überraschenderweise allein. Aber wer weiß, oft ist es ja gerade, wenn wir nicht wissen, was kommt, dass wir merken, wie viel wir eigentlich schaffen können. Der Mensch ist so unglaublich anpassungsfähig, das ist mir immer wieder ein Phänomen.

Was ist dein Rat für alle die, die die Welt so kennenlernen wollen, wie du es gemacht hast?

Anselm: Wartet nicht darauf, dass euch jemand sagt, wie ihr es machen sollt. Packt die Taschen, brecht auf und vertraut eurem Bauchgefühl. Ich glaube, der erste Schritt ist immer der schwierigste und man muss sich oft sehr überwinden bevor man sich in etwas Unbekanntes wagt. Aber wenn man sich traut, bekommt man mehr als die ganze Kraft davon zurück. Und was auch sehr wichtig ist, losfahren ohne Plan!

Ich hätte Anselm bei unserem Treffen noch Tausend Fragen stellen können und wahrscheinlich zwei Bücher mit seinen Erzählungen füllen können. Vieles ist im Film zu sehen, den anzuschauen lohnt sich auf jeden Fall. Noch mehr lohnt es sich, Anselm kennengelernt zu haben und ihm zuzuhören … vor allem deshalb, weil seine Reise in Afrika nicht aufhörte, sondern über den Nahen und mittleren Osten durch China, den Himalaya bis Sydney weiterhin. Ein wirklich unglaublicher Typ.

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