Mit dem Rad zur Arbeit

Mit dem Rad zur Arbeit

Ich habe letztens vier Wochen auf Autofahren verzichtet, nicht freiwillig! Es ging dann mit dem Rad zur Arbeit.

Rückblick

Heute ist ein Freitag im Dezember, der Tag X rückt näher, noch eine Woche. Der Weg ins Office ist mit dem Fahrrad gar nicht übel. Die ersten Kilometer sind die gleichen, wie zum Treffpunkt vom Training. Ich kenne jede Wölbung im Asphalt und weiß, an welchem Abschnitten die Autofahrer unachtsam werden. Auf einem kurzem Stück trennt die Straße einen Golfplatz, viele Bäume, ziemlich dunkel, keine Beleuchtung, rasant bergab, aber Tempolimit 30, danach bergauf und das Ortsaugangsschild sagt „freie Fahrt für freie Bürger“ mit 100 km/h. Das gilt exakt für 500 Meter bis zum nächsten Ortseingang. Ich werde wohl zum ersten Mal den holprigen Rad/Fußgängerweg wählen, der neben der linken Fahrbahrnseite entlang führt, denke ich mir.

Montag nehme ich noch einen Satz anständige Klamotten und Duschzeug mit in die Firma. Das ist der einfache Teil. Wann muss ich losfahren? Wie viele Autos sind auf der Straße? Sind die Leute eher entspannt oder hektisch unterwegs? Mir wird klar, dass mir die Routine bei Mit dem Rad zur Arbeit fehlt.

Da fällt mir auch Claudes Unfall ein und ich löschen die Lampe, die ich gerade in den Warenkorb gelegt habe. Gesundheit ist mehr wert als 29,- Euro! Stattdessen entscheide ich mich für Lezyne mit StVZO-Zulassung. Der Lezyne Mega XL Computer hatte mich in Punkto Zuverlässigkeit vor einiger Zeit voll überzeugt, also kaufe ich die Lampe im Vertrauen auf gleiche Qualität. Mal sehen – im wahrsten Sinne des Wortes.

Der erste Tag ist da. Ich kneife, weil eine Arbeitskollegin mir angeboten hat, mich mitzunehmen und es draußen so ungemütlich aussieht. Das geht dann die ganze Woche so. Im nachhinein sag ich: leider.

Warum habe ich das nicht schon früher gemacht?

Endlich ist Weihnachten vorbei. Premiere. Ich fahre heute mit dem Rad zur Arbeit. Warum habe ich das nicht schon früher gemacht? Die Euphorie kommt auch daher, weil es trocken ist und es ein gutes Gefühl ist, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren.

Jetzt kommt das mit der fehlenden Routine. Ich fahre früher als geplant los, weil ich den Berufsverkehr nicht einschätzen kann. Viel ist am 27.12. auf der Straße nicht los. Außerdem trete ich wie im Autopilot. Verschwitzt komme ich in die Firma. Halb so wild, ich habe ja mein Klamottendepot mit Handtuch und es ist sowieso keiner da.

Fünf Stunden später die Rückfahrt. Die Euphorie von heute morgen ist verschwunden. Trotzdem fühle ich mich noch gut, weil ich mit dem Rad gefahren bin.

Beim nachhause radeln denke ich daran, was ich alles ohne Auto nicht mal eben erledigen könnte. Mal eben Weihnachtsmarktbesuch mit Kind und ohne die Mama? Mal eben den Tannenbaum ganz früh am 23. holen, während die Familie noch schläft? Ich beginne mich zu erden. Auch das fühlt sich gut an.

Es ist jetzt nicht so, dass ich noch nie mit dem Rad zur Arbeit gefahren wäre. Dann allerdings immer am Wochenende und an Feiertagen und immer weil ich wollte und nie weil ich musste.

Am 30.12. ist Tag 2. Viele Autos sind auf der Straße, was aber ein subjektiver Eindruck aus meiner neuen Perspektive ist. Um neun Uhr ist es nicht mehr richtig dunkel. Aber sehen mich alle Autofahrer bzw. wollen die mich sehen?

Wenn sich andere Radler über Autofahrer aufregen, bin ich immer etwas stolz auf mein Revier. Huper, Nahüberholer und Arschlöcher sind auf unseren üblichen Routen selten. Heute morgen ist es anderes. Ich mache einen Crashkurs in Gelassenheit.

Er hupt, überholt dicht und zeigt mir seine geballte Faust

Da ist der Typ in seinem 15 Jahre alten, rostigen Hyundai. Seine Frau redet von ihm nur als „der da“ und in der Arbeit traut ihm keiner was zu. Aber heute morgen ist er für einen kurzen Moment der Big Boss. Kein SUV in Sicht, die Ampel, die bei ihm immer auf rot steht, ist grün und da ist seine Beute: Ich.

Er hupt, überholt dicht und zeigt mir seine geballte Faust. Kurz überlege ich ihm auch etwas hinterherzurufen. Er würde mich aber sowieso nicht hören. 300 Meter weiter bremst er ab. Die Ampel ist rot, ein Bus steht vor und ein fetter AMG hinter ihm. Welcome back in deiner Welt, du Looser!

Ich biege ab. Radschutzstreifen, also so Striche am rechten Rand der Fahrbahn. Ein Lieferwagen mit Hermes-Aufkleber steht auf dem mir zugewiesen Streifen. Ok, die Jungs haben einen langen Tag, „gönn dir fünf Schritte weniger“ wünsche ich ihm in Gedanken.

Mit 40 rase ich die Straße, die den Golfplatz zerteilt, hinunter. Am Ende sind zur Verkehrsberuhigung links und rechts zwei Betonkübel. Hier lauert die Gefahr durch Zögerer. So nenne ich die Autofahrer, die an Kreuzungen oder Ausfahrten stehen und überlegen loszufahren – oder eben nicht loszufahren. Wenn der Radfahrer das stehende Auto als nette Geste des Vorbeilassens wertet, fahren die dann oft auch. Falls der Radfahrer selbst bremst, fahren die nicht.

Danach ist die Stadtgrenze und es geht bergauf mit Tempolimit Landstraße 100 km/h. Grob überschlagen würde der Autofahrer hier mit 50 km/h für die 500 Meter bis zum nächsten Ortschild etwa eine Minute brauchen, statt 30 Sekunden mit Tempo 100. Mit Beschleunigung und Abbremsen tut sich vermutlich zeitlich nichts.

Wie geplant fahre ich wieder auf den Radweg mit den Hitlerplatten. Ein Pedelec-Fahrer fährt vor mir. Mit Knopf im Ohr beraubt er sich seiner Umgebung und merkt auch nicht, dass er in der Mitte fährt. Naja, wenigstens fährt das Pedalec zügig.

An der nächsten roten Ampel bleibt ein Auto hinter mir, obwohl ich mich ganz nah an den rechten Bordstein quetsche. Schade, denn ich bin zu leicht für den Bodenkontakt. Notgedrungen fahren ich auf den Bürgersteig. Notgedrungen deshalb, weil ich damit natürlich das Klischee des Radrowdie erfülle und auf Regeln pfeife.

Ein bisschen bergab, bergauf und eine Seitenstraße zwischen Feldern. Da ist der Hund, der sein Herrchen führt. Ich rufe von hinten „Moin“! Herrchen wird abrupt panisch und überquert völlig sinnlos die komplette Straße vom rechten auf den linken Fahrbahnrand. Der Hund interessiert sich gar nicht für mich, aber Herrchen will das nicht wahrhaben und reisst am Halsband.

Am Ende kommt noch ein Radweg, der sich den Bürgersteig mit Fußgängern teilt. Ich treffe auf den Typ Fußgänger, der von einem sein Fahrrad schiebenenen Radfahrer begleitet wird. Die brauchen natürlich die volle Breite, also Fußweg und Radweg. Die Lücke zwischen zwei parkenden Autos nutze ich, um auf die Straße zu springen. Kurz fühle ich mich wie Paperboy auf dem C64. Gut, dass in dem Moment kein Auto kam. Mir fehlt die Routine.

Die paar Tage, an den ich mit dem Rad unterwegs war, haben senibilisiert

Heute ist der zweite Tag X. Seit heute darf ich wieder mit motorbetriebenen Fahrzeugen fahren. Der Monat ohne Fahrerlaubnis hat mir, als Abend- und Wochenendradfahrer, einiges mitgegeben. Natürlich war ich immer schon für mehr und bessere Radwege und natürlich achte ich als Autofahrer besonders auf Radfahrer und als Radfahrer auf die Autos. Doch die paar Tage, an den ich mit dem Rad morgens und abends unterwegs war, haben mich wieder mehr senibilisiert – und das ist gut so.

Respekt allen, die tagtäglich mit dem Rad zur Arbeit fahren. Ich nehme mir fest vor, ab jetzt häufiger mit dem Rad zur Arbeit zu fahren.

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