
Ein Kommentar zur aktuellen Anti-Fahrrad- bzw. Fahrradtaschenpanzer-Kampagne aus dem Springer-Verlag
Am 17. Oktober 2025 veröffentlichte Die Welt einen bemerkenswerten Artikel. Julian Theilen, Feuilleton-Redakteur, schreibt über seine „verstörende“ Begegnung mit einem Fahrradfahrer mit Packtaschen. Der Titel: „Zwei Meter breit, zwei Meter Ich – Angriff der Fahrradtaschenpanzer“.
Zwei Meter. Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen.
Die Mathematik der Polemik
Aus Neugier habe ich meine große Packtasche vermessen, mit der ich ins Büro fahre. Von der Mitte des Gepäckträgers bis zum äußeren Ende: 30 Zentimeter. Mit zwei voll bepackten Taschen komme ich auf 60 Zentimeter Gesamtbreite. Mein Lenker misst im Unterlenkerbereich 50 Zentimeter.
60 Zentimeter, nicht zwei Meter.
Um auf Theilens apokalyptische Maße zu kommen, müsste ich links und rechts neben den Paktaschen mindestens noch je zwei Bierkästen montieren. Aber wozu die Fakten bemühen, wenn die Polemik so schön rollt? Schließlich braucht man diese Übertreibung, um die gewünschte Analogie herzustellen: Fahrradtaschen = SUVs. Mission erfüllt, Klischee bedient.

Was ist eigentlich so „verstörend“ an Pendlern?
Theilen beschreibt seine Begegnung wie eine Szene aus Mad Max. Ein Radfahrer mit Packtaschen, Helm und Warnweste überholt einen entspannten Fixie-Fahrer. Das wars. Das ist die ganze „verstörende Szene“. Wie kommt man dabei auf „Fahrradtaschenpanzer“?
Mit anderen Worten; Wer praktisch denkt und zur Arbeit radelt, hat keine Ahnung vom Leben. Wer aber freihändig und „glücklich“ auf dem Fixie durch die Stadt gleitet – der hat es verstanden. Diese Romantisierung eines Lebensstils gegen die Herabwürdigung eines anderen ist bezeichnend.


Der Kontext: Ulf Poschardt und das Auto-Primat
Wir sollten nicht vergessen, wer Die Welt herausgibt: Ulf Poschardt. Ein Mann, der das Auto als Freiheitssymbol verehrt und für den Verkehrspolitik vor allem eins bedeutet: Das Primat des Automobils verteidigen. In diesem Kontext wird der Artikel verständlicher.
Die Welt hat sich in den letzten Jahren immer weiter nach rechts bewegt. Klimaschutzmaßnahmen, Verkehrswende, Fahrradinfrastruktur – all das wird gerne als „Ideologie“ oder „Gängelung“ geframt. Ein Artikel, der Fahrradpendler mit SUV-Fahrern gleichsetzt und lächerlich macht, passt perfekt in diese Agenda.
Was der Artikel verschweigt
Was Julian Theilen nicht schreibt:
- Jeder Fahrradpendler ist ein Auto weniger auf der Straße. Weniger Stau, weniger Parkplatznot, weniger Lärm.
- Radfahren ist aktiver Klimaschutz. Null Emissionen, jeden Tag.
- Die Warnweste ist nötig, weil Radfahrer auf unseren Straßen systematisch übersehen werden – manchmal mit tödlichen Folgen.
- Helm und Schutzkleidung sind Eigenschutz in einer Verkehrsinfrastruktur, die immer noch primär fürs Auto gebaut wurde.
Stattdessen: Spott über Menschen, die das Richtige tun.
Amsterdam? Ja, aber…
Ironischerweise lobt Theilen Amsterdam als Vorbild. Die entspannten Hollandrad-Fahrer, die sich „neben Grachten durch die Straßen schlängeln“. Was er nicht erwähnt: Amsterdam hat diese Fahrradkultur durch jahrzehntelange, konsequente Verkehrspolitik geschaffen. Durchgehende Radwege, Vorfahrt für Radfahrer, sichere Infrastruktur.
In Deutschland kämpfen Radfahrer dagegen täglich mit zugeparkten Radwegen, gefährlichen Kreuzungen und aggressiven Autofahrern. Da ist der Helm keine Lifestyle-Entscheidung, sondern Überlebensstrategie.
Meine Frage an euch
Was haltet ihr von diesem Artikel? Ist das legitime Kritik an „übertriebener“ Fahrradausrüstung? Oder ist das Teil einer größeren Agenda gegen die Verkehrswende?
Fahrt ihr selbst mit Packtaschen? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht mit dieser Art von Spott?
Und mal ehrlich: Würde Die Welt jemals einen Artikel mit der Überschrift „Sechs Meter breit, sechs Meter Ich – Angriff der SUV-Panzer“ bringen?
Ich bin gespannt auf eure Meinungen!

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Ach gottchen. Das stufe ich eher als Satire ein. Die eigentlichen Panzer sind Mütter auf hochmotorisierten E-Bikes mit Zwillingsanhänger. Und auch denen gönne ich ihr Dasein.
Hier ist der Artikel ohne Paywall: https://archive.is/20251017093323/https://www.welt.de/kultur/plus68e66e9314154520ea1374b3/fahrradtaschen-unzerstoerbar-passiv-aggressiv-und-potthaesslich.html
Das sehe ich anders, Kai.
So massiv wie dieser Artikel auf Facebook in den letzten Tagen immer wieder gepostet wird, heizt die Social-Media-Redaktion den Kulturkampf ein.
Lesen kann den Artikel dort niemand, wegen Paywall, aber die Kommentarspalte schwappt über.
Ich kann die Kommentare bei Welt leider nicht lesen, habe aber erstaunt festgestellt, dass es über 1.000 sind.
Warum kocht ein offensichtlich sinnloses Thema so hoch?
Und wer bitte kann ernsthaft was gegen Radfahren haben?
Du stufst das als politischen Stellvertreterkrieg ein?
Satire? Das ist eher Zynismus als Humor getarnt. Natürlich will der Autor spalten. Warum es so hochkocht? Sachverhalt ist leicht zu erfassen und Radfahrer versus Autofahrer triggert halt nicht wenige.