Ötztaler Radmarathon – Mythos, Kult, Alptraum
… viel wurde bereits geschrieben, jeder kleinste Teil der Strecke ausführlich erklärt und die Strapazen im Detail geschildert. Eine, wie ich finde, äußerst passende und ebenso erlebte Beschreibung fand ich relativ kurz nach dem Event Anfang September bei den Rennradgeschichten auf der Internetseite dieketterechts.com. Ich kann dieser ausführlichen Schilderung begeistert und zustimmend beipflichten. Das DNF des Autors, also sein in diesem Fall freiwilliges Ausscheiden empfindet man als gar nicht schlimm und sogar nachvollziehbar, zumal auch ich mit dem Gedanken spielte, ihm gleich zu tun. Aber so sollte es nicht sein. Warum? Ich weiß es nicht.
Dass es kein Zuckerschlecken werden wird, das war mir ohnehin glasklar. „Heil ins Ziel kommen“, das war wohl bei den allermeisten die oberste Prämisse. Warum allerdings will man dennoch ein solches Unterfangen erleben? Warum diese Qualen? Verrücktheit? Selbstbeweis? Berg da – also rauf? In der Tat wird tapferen Pedalrittern diese Frage oft gestellt. Die Antworten darauf sind so vielfältig, wie die mehrere Tausend TeilnehmerInnen bei solchen Höllenritten. Schließlich habe ich seit der gestrigen Ausstrahlung des Senders Servus TV D über den Ötztaler Radmarathon meine für mich endlich verbalisierte, Sinn gebende Antwort auf die Frage gefunden. Warum macht man sowas überhaupt? Aber dazu im Anschluss noch ein wenig ausführlicher…
Der Ötztaler Radmarathon 2021 auf Servus TV
Worum geht’s in dem TV Beitrag? Ich dachte anfangs, dass es eine Rückschau wie fast jede andere sein wird, über ein natürlich bekanntes und spektakuläres Radevent, mit Beschreibungen der Strecke, Interviews, toller Begleitmusik und elegant in Szene gesetzten, emotionalen Momenten. Ja, das war dieser Beitrag zu 100%, aber eben auch ein wenig mehr. Das Mehr lässt wie folgt erklären:
1. Die Bilder und Luftaufnahmen
… sind, auch für nicht Radsportler, ein purer Genuss und kitzeln bei Radaffinen sicherlich die ein oder andere Motivation, sich sofort aufs Velo zu schwingen raus. Wirklich erstaunlich und sehenswert. Hand aufs Herz: ein Tag ohne Radfahren ist ein schlechter Tag… oder so ähnlich.
2. Spannend
… ist dieser Beitrag sicherlich auch, weil es um die Radsport-Themen schlechthin geht. Von Energie verpulvern ist die Rede, auch von Kräfteeinteilung, Energiereserven im Körper, guter und schlechter Planung, vom heimlichen fünften Pass am Haiminger Sattele aufgrund der diesjährigen Ausweichstrecke wird gesprochen, der trügerische Brenneranstieg und die beiden Hämmer am Ende der Tortur werden ehrfürchtig beschrieben, nämlich dem Jaufenpass und dem Timmelsjoch.
3. Toni Innauer
… der österreichische Skisprung Olympiasieger, erklärt mit einer außergewöhnlichen Klarheit und Nachvollziehbarkeit, wie in den Augen des Adlers, dem diesjährigen Jubiläums-„Patentier“, die Herausforderung gesehen wird. Er nennt Begriffe wie Rangordnung, Arterhaltung, Revieraufteilung, Instinkte. Schlagworte, die man nicht unmittelbar mit dem Radfahren in Verbindung bringen würde, aber dennoch hervorragend zueinander passen, wenn man sich darauf einlässt und in Adlers Augen das Treiben betrachtet.
4. Die Perspektive macht’s also!
Die Beschreibungen der Streckenabschnitte und die begleitenden Bilder sind mehr als passend. Aus der Luft sind die Prozente natürlich kaum erkennbar und deshalb ist diese Art der Darstellung noch eindringlicher. 238 km Alpenlandschaft, 5.500 Höhenmeter, Serpentinen, Passhöhen, Steigungen, rasante Abfahrten! Ein großes „Wow“ vorm Fernseher entfleuchte mir schon, so beim Anblick der SportlerInnen mitten in der großartigen Umgebung und beim Wiedererleben der Passagen von oben.
5. Bei Minute 8:55
Kurz, für einen klitzekleinen Moment stockte mir vor Überraschung der Atem. Zwar als dann bei Minute 8:55 etwa mein noch strahlendes Antlitz gezeigt wurde. Ich kann mich erinnern, dass ich vom Auto raus interviewt wurde, irgendwo Nähe Innsbruck nach der rasanten Abfahrt vom kalten Kühtai. Lustig fand ich es, stolz bin ich schon und fasziniert von allem was danach noch kam, im Rennen selber, aber auch dem TV Beitrag. In meinem kurzen Beitrag ging es die Witterung, also kein Regen, so lässt sich mein fröhliches Grinsen in den TV Sekunden erklären. Ein Teilnehmer schildert, dass Stalingrad und Schnee angekündigt waren, welch Irrtum.
6. Der Mehrwert dieser Rückschau
… liegt auch darin, dass Toni Innauer absolut prägnant darlegt, wie man ein solches Treiben, die Entscheidung dafür und das anschließende Durchkämpfen erklären kann. Somit habe ich endlich die Antwort auch gefunden! Jene Frage, die ich eingangs bereits gestellt und deren Antwort ich stets zu suchen pflegte. Es gibt existenzphilosophische Gründe. Wie bitte? Was bedeutet das? Eine solche Herausforderung, so hart sie auch ist, lenkt vom Gedanken ab endlich zu sein. Wir können das Leben besser ertragen. Und sind wir mal ehrlich, jeder von uns hat irgendeine Geschichte, einen Beweggrund für die Strapazen, oft sehr persönlich und emotional. Sei es ein verstorbener Angehöriger und Erinnerung daran und Trauer darüber, eine überstandene Verletzung oder Krankheit, turbulente Zeiten im Privatleben oder Beruf, aber auch purer Wahnsinn, die Lust auf ein großes Gemeinschaftserlebnis, extreme Freude am Radfahren, der Hype um den Traum des Ötztalers und noch so viele mehr. Es ist diese Riesenaufgabe, die bewältigt wird, die gesamte Energie, die rein gesteckt wird. Innauer nennt Lust, Liebe, Fokus und Wünsche. All diese Sachen werden geballt und ein Ziel formuliert. Der Mensch als Lebewesen lebt, spürt, dass es lebt, verdrängt den Tod und den Gedanken daran, dass die Zeit abläuft. Was für eine besondere Erklärung, wie ich fand!
Man betreibt etwas so intensiv, ja fast suchtartig, denn Radfahren ist ein körperliches Bedürfnis und jede Radpause sorgt für Entzugserscheinungen. Wer kennt letztere nicht. Wahre und gelebte Velosophie!
2261 Radbegeisterte haben den 40. ÖRM-Mythos dieses Jahr besiegt. Etwas, wovor sie sich zuvor fürchteten, dem sind sie nun gewachsen. Im Beitrag heißt es mal: „Es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht erklären. Aber sie sind gut so.“
Dem schließe ich mich an. Allzeit gute Fahrt! Herzlichst, Eure Sarah
Der Link zum TV Beitrag: https://www.servustv.com/sport/v/aa-2663zk9k51w11/
Der Link zum Ötztaler Radmarathon Nachbericht: https://dieketterechts.com/das-oetztaler-radmarathon…/
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