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Gravel – vor zwei Jahren von vielen als „alter Wein in neuen Schläuchen“ verspottet, ist voll im kommen!
Bekam der gutgläubige Kunde damals von vielen Herstellern noch Cyclocross-Modelle als Gravel-Bikes aufgeschwatzt, haben selbst die letzten Anbieter mittlerweile verstanden, dass ein Gravel-Bike mit einem Cyclocross-Wettkampfrad wenig bis nichts gemein hat.
Übrigens mag ich den Begriff „Gravel“ nicht so sehr. Richtige Gravel-Roads hat es eigentlich nur in den USA. Wer schon mal im Marin County nördlich von San Francisco Fahrrad gefahren ist, weiß von was ich spreche.
Allroad
Allroad – in diese Kategorie stecke ich das Cucuma Casca meines Bruders Olli, mein Litespeed Chorahala SE (beide mit Ultegra Di2) genau wie mein Marin Four Corners Elite (mit SRAM Rival 1x). Die Räder haben eine entspannte Komfortgeometrie und sind mit Scheibenbremsen ausgestattet, weshalb sie 700c-Laufräder genau wie 650b (27,5 Zoll) vertragen. Die Reifenfreiheit liegt jenseits von 35 mm, wobei die Räder auf Felgen mit 28 mm Reifen fast so schnell wie ein Rennrad sind.
Carbon ist im Allroad-Segment übrigens nicht (meine) erste Wahl, zumindest wenn man Aufnahmen für Gepäckträger am Rahmen haben möchte. Es muss aber nicht unbedingt teures Titan sein. Aluminium ist für Allroad ein gutes Rahmenmaterial, weil sich bei breiteren Reifen die „Komfortnachteile“ des Aluminiumrahmens relativieren. Mein Marin Four Corners Elite ist übrigens aus Stahl. Das Material flext gut, ist robust, hat Montagemöglichkeiten für das Gepäck verschweißt, ist aber nicht so teuer wie Titan.
Marin Allroad Bike mit 650b Laufrädern
Flare
Bei Gravel-Allroad-Rädern greifen Kenner gerne zu Rennlenkern mit „Flare“. Dabei sind die unteren Lenkerenden nach außen gestellt. Das verspricht auf längeren Strecken mehr Komfort und, im Gelände oder mit Gepäck, ein besseres „Handling“. Beim gezeigte Modell von Ritchey haben wir 24° Flare. 30° sind aber auch nicht unüblich.
Leider sind herkömmliche Brems-Schaltgriffe für Rennlenker ohne bzw. unwesentlich „Flare“ konzipiert. Die kann man zwar auch am Flare-Lenker fahren, aber der Griff ist nicht mehr optimal. Schließlich sind die Brems-Schalthebel am Lenker nach außen gedreht, wie es der Winkel des Flare-Lenkers verlangt. Dabei dreht sich die obere Handauflage des Griffs nach innen und der Handballen liegt fast auf der äußeren Kante der Schalt-Brems-Einheit. Alternativ fährt mit weiter nach innen abgeknicktem Handgelenk (Foto oben).
Außerdem ist der Schaltvorgang bei einer mechanischen Schaltung nicht mehr ganz so ergonomisch, weil die Hebel – dem Winkel des Flare-Lenkers folgend – zu weit außen sitzen. Man muss dann noch mehr aus dem Handgelenk schalten, als bei einem herkömmlichen Rennlenker, weil mehr Kraft erforderlich ist. Eine elektronische Schaltung kennt diesen Nachteil nicht. Zum Gangwechsel wird ja lediglich ein Knopf gedrückt.
Shimano GRX – optimiert für Gravel / Allroad
Shimano hat auf die besonderen Anforderungen im Gravelbereich reagiert und als erster Hersteller für Gravel optimierte Schaltkomponenten auf den Markt gebracht. Wir erkennen sie an der Bezeichnung GRX.
Als ich beim Produktlaunch vor wenigen Wochen über die Pressemitteilung flog, fand ich den Ansatz „nett“. Das war es aber auch schon. Schaut man aber genauer hin, erkennt man die Vorteile der GRX, die ich mir beim Bike Festival in Willingen näher betrachten durfte.
Shimano GRX ist keine Gruppe
Zunächst sollte ich darauf hinweisen, dass es sich bei der GRX um keine eigenständige Schaltgruppe handelt, sondern um eine Komponentenfamilie, die mit Komponenten der Shimano-Schaltgruppen kombinierbar ist.
Shimano empfiehlt den Einsatz von GRX-Komponenten zusammen mit MTB- (Deore XT, SLX, Deore) oder Rennrad- (Ultegra, 105, Tiagra) Kassetten und Ketten, die bereits Bestandteil des Lineups sind.
Die GRX-Flaggschiffkomponenten hören auf den Namen GRX 800 , was vermutlich an die 8000er Ultegra angelegt ist. Darüber hinaus bietet die Serie preisgünstigere 11-fach-Parts wie GRX 600 Kurbelgarnituren und Schalthebel, die nahtlos mit 800er-Komponenten kombiniert werden können. Noch preisgünstigere Setups lassen sich mit den 10-fach Kurbeln, Schaltwerken, Umwerfern, Schalthebeln und Bremsen erzielen, die ebenfalls Teil der GRX-Familie sind.
Generell finden wir bei der GRX verschiedene Kurbeloptionen, passende Schaltwerke und Umwerfer, Scheibenbremsen mit einem neuen, vollständig ins Hydrauliksystem integrierten Oberlenker-Bremshebel sowie STI Schalt-/Bremshebel in mechanischer oder elektronischer Di2-Ausführung.
Schauen wir uns die Komponenten und ihre Besonderheiten gemeinsam an.

Kurbeloptionen Shimano GRX
Shimano GRX kennt drei verschiedene Kurbeloptionen: 1×11-, 2×11- oder 2×10-fach.
Eine 1×11 Rennrad-/Gravelkurbel kannten wir bisher nur von SRAM. Hier hat Shimano geantwortet, weil im Gelände 1×11 durchaus Vorteile bietet.
Aufgeregt wurde ich aber, als ich mir in Willingen auf dem Bikefestival die GRX 810 2fach-Kurbel näher angeschaut habe. Aufgeregt? Aber warum ?
Die RX810 hat als großes Blatt ein 48er. Das kleine Blatt hat 17(!) Zähne Differenz und kommt mit 31 Zähnen daher. 17 Zähne Differenz. Wahnsinn. Das bietet eine tolle Übersetzungsbandbreite, wie wir unten in den Diagrammen des Ritzelrechners sehen.
Beispiel 1
Auf meinem Litespeed Cherohala fahre ich die Kettenblattkombi 50/34, also eine Kompaktkurbel, mit einer 11-32er Kassette. Die Bandbreite beträgt 428%. Mit der GRX-Kettenblattkombi 48/31 vergrößert sich die Bandbreite um 22% auf 450%, ohne größere Gangsprünge und ohne dass man großartig an Maximalgeschwindigkeit verliert. Hand aufs Herz, wer braucht bei einem Gravel-Allroad-Bike schon eine enorme Maximalgeschwindigkeit? Mit der neuen Kombination ist man außerdem etwas bergtauglicher. Ist das nicht ideal? Für mich ein Grund zum Umrüsten!
Beispiel 2
Dasselbe Spiel mit einer 11-28er Kassette. Bei einer Kompaktkurbel haben wir mit dieser Kassette 374% Bandbreite. Die neue GRX-Kombi kommt auf 394% – ebenfalls wieder ohne größere Gangsprünge. Die GRX-Kurbel ist also durchaus auch was für Rennradfahrer die Kompaktkurbel fahren, aber etwas bergtauglicheres brauchen. GRX-Kurbel am Rennrad? Warum nicht.
Nachteil ist, dass es für die Kettenblattkombination 48/31 den GRX-Umwerfer braucht – offiziell jedenfalls. Ob auch die normalen Umwerfer 17 Zähne schaffen? Vielleicht sollte man es einfach mal probieren?
Umwerfer
Die beiden RX800 Umwerfer (mechanisch und Di2) sind dafür ausgelegt, die 17-Zähne-Kettenblattdifferenz der RX800 48/31Z-Kurbel zu bewältigen, während der FD-RX400 Umwerfer mit den 16 Zähnen Differenz der RX600 Kurbel für 10-fach mit 46-30 Zähnen ideal harmoniert.
Erwähnenswert ist außerdem, dass die GRX-Umwerfer für eine 2,5 mm breitere Kettenlinie sorgen und somit Reifenbreiten bis zu 42 mm fürs raue Gelände ermöglichen.
Schaltwerke
Basierend auf der Technologie, die Shimano 2018 mit den RX Schaltwerken bei der Ultegra eingeführt hat, zeichnen sich die GRX Schaltwerke RD-RX815/817 (Di2) und RDRX810/812/400 (mechanisch) durch leise, leichtgängige und präzise Schaltvorgänge aus. Ich fahre das Ulegra-RX-Schaltwerk seit Januar und kann das voll bestätigen.
Das als Shadow RD+ bezeichnete Kettenstabilisierungssystem verhindert bei den Schaltwerken das Schlagen der Kette und überflüssige Bewegungen des Schaltwerkskäfigs.
Insgesamt bietet die Shimano GRX Familie fünf Schaltwerke, die je nach Auswahl der Kassette und des Schaltsystems zum Einsatz kommen. Für 11-30Z- oder 11-34Z-Kassetten auf Ultegra-, 105 oder Tiagra-Niveau sind die Schaltwerke mit kurzem Käfig (Di2: RDRX815; mechanisch: RD-RX810) gedacht. Wer die 11-40Z-oder 11-42Z-Kassetten der Deore XT, SLX oder Deore Gruppen einsetzt, braucht dagegen die Schaltwerke mit langem Käfig (Di2: RD-RX817; mechanisch: RD-RX812), die beide ein rennradspezifisches Hebelzugverhältnis aufweisen. In einem 10-fach-Setup schließlich kommen Shimanos HG500-10
Kassetten (11-32Z, 11-34Z, 11-36Z) mit dem Schaltwerk RD-RX400 zum Einsatz.
Shimano GRX-Bremssysteme
Das Top-Modell, der RX800-Bremshebel (ST-RX815), ist mit Shimanos Servo Wave Technologie ausgestattet, die wir aus dem Mountainbike-Bereich kennen. Die RX810-Hebel gibt es aber auch ohne SERVO WAVE, genau wie die RX600 und RX400-Modelle. Brems- und Verzögerungsleistung soll mit der Ultegra 8000 vergleichbar sein. Was will man mehr?
Danz neu sind die Zusatzbremshebel BL-RX812-L/R, die am Oberlenker montiert und direkt in das geschlossene Hydrauliksystem integriert werden. So kann in entsprechenden Fahrsituationen auch im Oberlenkergriff bequem und sicher gebremst werden.

Die GRX Bremssättel (BR-RX810/400) erinnern im Design an die Shimano-Flat-Mount-Modelle aus dem Rennrad-Bereich und liefern ebenso hohe Bremsleistung. Zudem verfügen Sie über die etablierten Features wie One-Way-Bleeding und das ICE-Technologies Wärmemanagementsystem mit Kühlrippen an den Bremsscheiben. Ultegra und Dura Ace lassen grüßen.
Bremsschalthebel der Shimano GRX
Bei den bereits oben erwähnten Bremsschalthebeln der Shimano GRX sollte man herausstreichen, dass sie für Flare-Lenker optimiert sind, aber immer noch an normalen Dropbars gefahren werden können.
Im Foto ganz unten ist dargestellt, dass die Achse des Bremshebels, im Vergleich zur Dura Ace bzw. Ultegra, um 18 mm nach oben gewandert ist. Dadurch lassen sich die Hebel mit weniger Kraftaufwand nach innen bewegen. Das ist bei mechanischen Bremshebeln, die nach außen gewinkelt sind, ein Riesenplus, das sich v.a. auf längeren Fahrten bemerkbar machen dürfte.
Auf den drei Fotos darüber sieht man gut, dass der Griff von oben betrachtet eine waagerechte Auflagefläche für die Hände bietet, obwohl die Hebel selbst nach außen zeigen. Das ist für mich ein Fortschritt, den Shimano selbst gar nicht erwähnt.
Ansonsten
Ansonsten gibt es spezielle GXX-Laufräder, auf die ich hier nicht eingehe, weil ich sie noch nicht gesehen habe.
Außerdem soll über den linken Hebel des 1×11-GRX Bremshebels (bei 1×11 schaltet man links ja nicht) eine versenkbare Sattelstütze gesteuert werden können. Gesehen habe ich das aber selbst noch nicht.

Fazit zur Shimano GRX
Shimano hat bei der GRX-Komponentenfamilie an die Anforderungen des neuen Segments Gravel gedacht. Gut ist, dass sich die einzelnen Komponenten in bestehende Gruppen integrieren lassen. So muss ein Gravel-Allroad-Fahrer nicht die ganze Gruppe tauschen, um in den Genuss der GRX-Vorteile zu kommen. Mir hat es die Kurbel angetan. Mit Verfügbarkeit der Di2-GRX-Brems-Schalthebel bin ich daran auch interessiert. Ich bin die Zielgruppe für die Shimano GRX!
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Hallo,
Beispiel 1. Klugscheißermodus an: Die Differenz beträgt „nur“ 5 %. Was du meinst, sind 22 Prozentpunkte.
Danke 🙂
Hey Claude,
Ist aufgrund der 17 Zähne Sprünge beim 48/31 Kettenblatt mein Ultegra R8000 Umwerfer nicht nutzbar? Die Range bei dieser Kurbel würde mich schon stark reizen 😉
PS: wann kommt mal wieder ein Podcast?
Grüße
Sagen wir mal so. Offiziell funktioniert das nicht. Probieren sollte man es. Vermutlich klappt es.
Mit dem Podcast sind wir leider hinten dran, weil wegen Wettkämpfen und Urlaub die Terminkoordination schwierig war. Bald kommt aber ein neuer. Versprochen!
Hallo Claude,
den Artikel finde ich sehr interessant, genauso wie die GRX-Komponenten von Shimano.
Und eben diese Frage, ob man die GRX-Kurbel mit einem „gewöhnlichen“ Ultegra-Umwerfer schalten kann, beschäftigt mich momentan auch.
Ich denke auch, dass die 17 Zähne Differenz nicht das Problem sein sollten.
Aber: Die GRX-Kurbel hat eine andere Kettenlinie, 2,5mm weiter außen. Die Frage ist, ob das Ultegra-Schaltwerk das packt? Ich bin hier noch am zweifeln.
Viele Grüße
Matthäus
Offiziell geht es nicht, sagt man. Ausprobieren sollte man es einfach mal.
Hallo Claude,
ich habe mir letztes Jahr ein Fuji Jari gekauft. Ein günstiges Modell, um reinzuschnuppern. Mit FSA-Kettenblatt 46/30 und 10-fach Tiagra 11-34 macht das Teil soviel Spaß, dass mein Canyon fast nur noch im Stall steht. Die Leute mit Compact 50/34 und kleinen Ritzel ins Gelände schicken ist wenig sinnvoll. Hab schon etliche leiden gesehen. Dass die Großen da nachziehen war nur eine Frage der Zeit. Ich freu mich schon auf die 2020 Carbonvariante des Jari. Für mich wohl die eierlegende Wollmilchsau.
Hallo Claude,
ein sehr interessanter Beitrag. Du hast ja sehr intensiv recherchiert. Ich interessiere mich sehr für ein Gravelbike, da ich beim Rennradfahren gemerkt habe, dass ich auch mal gerne in einen Feldweg abbiegen würde. Auf den Speed (aktuell 50-34) möchte ich aber nicht verzichten, da ich ansonten mit meinen Mitstreitern nur sehr schwer mithalten kann. Kannst Du mir sagen, ob ich eine 48-31 GRX-Kurbel auf 50-34 umrüsten kann? Ich schwimme damit zwar gegen den Strom, bei meiner Nutzung (80% Straße, 20% Offroad) macht dies für mich aber mehr Sinn. Würde mich über eine Antwort freuen.
Andreas
Ob man die umrüsten kann? Vermutlich. Aber dann lass dir Doch komplett die Kurbel tauschen, auf Ultegra oder 105y
Hallo Claude,
wie beurteilst Du die Zweifach-Kombi (di2) 48/31 mit 11-34 im Vergleich zur Sram-Force-Etap-Einfach-42 mit 10-50 Eagle. Die Bandbreite ist durchaus vergleichbar, jedoch sind die Sprünge größer. Wären für dich die Sprünge zu groß?
Gruß
Ich würde lieber 2fach fahren.
Hallo Claude,
ich möchte ein kleines Update geben.
Heute habe ich die GRX-Kurbel an meinem OPEN montiert, in der 48-31-Übersetzung.
Bisher bin ich nicht gefahren, sondern nur „trocken“ im Keller an der Kurbel gedreht.
Das Ergebnis:
– verschobene Kettenlinie von 2,5mm ist kein Problem, der Ultegra DI2-Umwerfer (aktuellste Version, 8000) lässt sich entsprechend einstellen
– Sprung von 17 Zähnen vom großen aufs kleine Blatt um umgekehrt packt der Umwerfer
Aber wie gesagt, das waren nur die Trockenübungen. Gefahren bin ich noch nicht. Somit ist die Schaltung auch noch nicht unter Last getestet. Aber der erste Eindruck ist schon einmal positiv.
Viele Grüße
Matthäus
Danke für das Update. Hört sich gut an. Wie ich es vermutet habe.