Bombige Bedingungen
Freitag, 15. Juni 2018. Das Wetter an diesem Freitag war gut und für die Stunden bis Samstagmittag waren für einen Radmarathon ideale Wetterbedingungen vorhergesagt. Die Vätternrundan 2018 konnte kommen.
Meine Startzeit war Samstagmorgen 3:32 Uhr.
Wurde die Region um den Vätternsee in den Wochen zuvor von einer für schwedische Verhältnisse unglaublichen Hitzewelle heimgesucht, bei der 35° Tagestemperatur die Regel war, hatte sich das Wetter seit unserer Ankunft in Schweden nivelliert. Tagsüber 25°, nachts vielleicht 15°. Wind? Fehlanzeige! Regen? Nicht auf dem Radar! Hammer!
Wäre meine Vorbereitung besser gewesen, hätte bei meiner neunten Teilnahme in Folge eine Knallerzeit herausspringen können.
Einige Male war ich bei der Vätternrundan brutto unter 10 Stunden geblieben, manchmal durch Wind- und Regenkapriolen an der magischen „Sub 10“ gescheitert. An „Sub 10“ war aber nicht zu denken.
Wenig Kondition
Gesundheitlichen Probleme hatten mir seit Jahresbeginn im Weg gestanden: Fußheberteilparese (teilweise Lähmung des rechten Fußhebers), damit einher gehenden Dysbalancen und Muskelverhärtungen in Beinen und Rücken, chronische und immer wieder aufflammende Parodontitis mit wiederkehrender Antibiotikaeinnahme …
Zurückblickend muss ich zugeben, dass mir ob der gesundheitlichen Probleme, das Radfahren bis zur Vätternrundan keinen Spaß gemacht hatte. Entsprechend war meine Kondition.
So galt für mich bei Vätternrundan 2018 die Devise „Ankommen ist alles“, um meine neunte Runde zu schaffen – egal wie. Ziel ist nämlich 2019 die zehnte Vätternrundan in Folge zu machen. Die Goldmadaille wartet.
Rasierunfall
Dienstag hatte ich meine Beine unter der Campingplatzdusche rasieren wollen. Schön eingeseift setzte ich den Rasierer am linken Knöchel an und zog und nach oben. Gleichzeitig rutschte die Ferse von der Sohle des Badelatschens. Ratsch!
Bis ich schmerzverzehrt die Rasierbewegung abbrechen konnte, hatte der Rasierer auf etwa sechs Zentimetern Länge einen mehr als fünf Millimeter breiten Hautstreifen weg gesäbelt. Mein Knöchel blutete wie Sau!
Mit Wund- und Heilsalbe, Pflaster und Verbänden, bekam ich die Wunde gut versorgt. Donnerstagabend sah alles gut aus.
19 Stunden vor meiner Startzeit sah es ganz anders aus! Ich erschrak, als ich meinen Knöchel sah! Er war rot und geschwollen.
Der im Foto mit blau abgedeckte Wundbereich war stark entzündet und vereitert. Der Anblick war übel, weshalb ich die Wunde in dem Zustand nicht zeigen will.
Ich war geschockt. Konnte ich damit überhaupt antreten?
Links neben meinem Wohnwagen campte Jana, Apothekerin aus Rügen, die ich schon seit Jahren von der Vätternrundan kenne. Jana schaute sich die Wunde an und schüttelte mit dem Kopf. Das sah nicht gut aus.
Aber Jana hatte antibakterielle Salbe im Gepäck, die schon zu DDR-zeiten, damals noch per Hand angerührt, Wunder bewirken konnte. Sollte sie meine Vätternrundan 2018 retten?
Salbe drauf, Pflaster drauf, fertig. Ausruhen, war angesagt. Nachmittags wechselte ich das Pflaster und erneuerte die Salbenschicht. Ich kam mir leicht fiebrig vor, was aber auch Einbildung sein konnte.
Würde ich damit fahren können, fragte ich mich? Setzte ich gar meine Gesundheit aufs Spiel? Ich hatte richtig Schiss. Aber einfach nicht antreten? Nein. Versuchen musste ich es. Im meiner Bordapotheke hatte ich eine Packung Antibiotika, eigentlich als Notfallmedikament wegen der Parodontitis gedacht. Egal. Ich warf zwei Tabletten ein. Abends vor dem zu Bett gehen dann noch eine.
Um ein Uhr in der Früh, als ich aufstehen musste, beäugte ich meinen entzündeten Knöchel. In der Tat war der Eiterherd viel kleiner und der Knöchel schien nicht mehr so geschwollen, wie noch einige Stunden zuvor.
Nicht gut, aber damit wollte ich starten.
Eine weitere Antibiotika-Tablette sowie eine entzündungshemmende Ibu 400 eingeworfen und schon ging es mit den Radfreunden die drei Kilometer vom Campingplatz zum Start.
Wie erwartet war es um drei Uhr schon ziemlich hell, relativ warm und null windig.
Biep, biep, biep. Pünktlich ging unsere Startgruppe auf die Strecke – bis zum Ortsausgang von Motala von einem Motorrad eskortiert.
Ich hatte eine schnelle Startgruppe erwischt. Die meisten waren zu schnell für mich. Dranhängen hätte in meinem Zustand keinen Sinn gemacht. Also nahm ich Fahrt raus um auf eine langsamere Gruppe zu warten.
Fahrt raus nehmen heißt in so einer Situation, nicht so schnell zu fahren wie man kann, sondern einen Tick langsamer. Sonst wird man nie von Gruppen überholt, die das gewünschte Tempo fahren.
Aber ich hatte kein Glück. Ich wurde von vielen Gruppen überholt, aber keine war so langsam, wie ich es gebraucht hätte. Tempo, das ich die Jahre zuvor locker hätte mitgehen können, war 2018 nicht drin. Wie auch?
Also fuhr ich meinen eigenen Stiefel. Langsamere Fahrer überholen, von schnelleren überholt werden, selten in Kleingruppen – so ging es die ganze Zeit.
Trotzdem Spaß
Spaß gemacht hat die Vätternrundan 2018 trotzdem – nicht nur des Wetters wegen.
Die Kopfsteinpflasterpassage durch Gränna, die Abfahrt von Huskvarna hinunter nach Jönköping …
Einen Stopp machte ich, wie immer am Wasserdepot nach ca. 140 km. Wasserflaschen füllen, hinter dem Wassercontainer Pinkeln und nach wenigen Minuten wieder aufs Rad.
Doch noch unter 10 Stunden?
Nach dem Stopp realisierte ich, dass ich – hoch gerechnet auf die 300 km – trotz vorwiegender Alleinfahrt und mangelhafter Kondition auf einer Sub-10-Zeit lag.
Das hätte ich nicht erwartet. Es motivierte mich ungemein.
Da ich die Strecke wie meine Westentasche kenne, machte ich mir im Kopf meinen Plan und hangelte mich gedanklich vorausschauend, von Zwischenziel zu Zwischenziel, ohne die Zeit aus den Augen zu lassen.
Das Depot in Hjo bei km 172 … Karlsborg und die herrliche Fahrt entlang des Ufers bei km 200 … Hammersundet … die verflixt welligen Kilometer, bis es rechts nach Medevi Brunn abgeht … Medevi Brunn mit dem letzten giftigen Anstieg, wo wir zwei Tage zuvor mit Sprühkreide die Straße bemalt hatten … von dort die letzten 25 km.
Alles spielte sich vor meinem geistigen Auge ab, noch bevor ich da war.
Motivation durch Euch
Was mich außerdem motivierte war die Überraschung, dass mich einige Leute im Vorbeifahren erkannten, mich ansprachen und sich freuten, mit CyclingClaude einige Minuten zusammen fahren zu können. Ich danke Euch allen dafür.
Allerdings weiß ich bis heute nicht, an was Ihr mich erkannt habt. An meinen pinkfarbenen Socken? Egal. Ich habe mich echt gefreut.
Vielen Dank übrigens auch an Andreas Stenzel, den Bikeblogger Berlin. Andreas hat mich nicht nur auf der Strecke erkannt, sondern auch ein paar schöne Fotos geschossen (incl. o.a. Titelfoto).
Im Ziel
Am Ende schaffte ich die Vätternrundan 2018 in einer Bruttozeit von 9:47 Stunden. Wahnsinn. Mit guter Kondition und gesundem Knöchel wäre sicher mehr drin gewesen. Aber darauf kam es mir gar nicht an. Ich fand es fantastisch, überhaupt ins Ziel gekommen zu sein. Sieger ist jeder, der um den See kommt.
Entsprechend wurde später auf dem Campingplatz gefeiert :-).
Gratulation übrigens an Tino und Roman, die beide nach weit weniger als neun Stunden ins Ziel kamen. Ich freue mich für Euch.
Mein Video „Vätternrundan 2018“
Meine Motivation für 2019 🙂
Wir sehen uns in Motala!
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